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Ausblick

Spectaris: ein langfristiger “Marshall Plan” wird notwendig sein

Peter Frankenstein, Spectaris
Peter Frankenstein
Leiter Augenoptik, Spectaris

eyebizz befragte die branchenwichtigen Organisationen zur aktuellen Situation. Wir wollten wissen, welche Maßnahmen sie ergriffen haben und wie deren Einschätzung und Empfehlung für die Augenoptik lautet. Für Spectaris antwortete Peter Frankenstein, Leiter Augenoptik / Consumer Optics

eyebizz: Welche Auswirkungen hat die Corona-Situation bisher auf die Mitglieder von Spectaris?

Peter Frankenstein (SPECTARIS): Die Corona-Krise hat natürlich auch die deutsche augenoptische Industrie mit voller Wucht erfasst. Es fing an mit frühen Lieferkettenproblemen für einige unserer Unternehmen nach Chinese New Year sowie der Absage (anfangs Verschiebung) der MIDO in Mailand. Viele Unternehmen blieben erst einmal schmerzhaft auf den meisten ihrer Messekosten sitzen. Gleichwohl haben wir natürlich auch das Leid der Messegesellschaften, Messebauer etc. mit dieser Krise im Auge.

Es gab schnell viele Unsicherheiten bei den Unternehmen, weil es so viele unterschiedliche Aspekte zu beachten galt: Anfangs beispielsweise der Umgang mit Verdachtsfällen im Unternehmen, die Aufrechterhaltung der Produktion sowie die Sicherstellung der Lieferkette und dazu die starken Einschränkungen bei Reisen. Das gleiche galt und gilt für Messen, die ausgefallen sind oder ins zweite Halbjahr verlegt wurden: Wie geht man hier mit Regressansprüchen um? Stehen bei uns die rechtlichen Fragen, wie Force-Majeure-Klauseln, also Höhere Gewalt, in den Verträgen? Außerdem galt es den Arbeitsschutz und Sorgfaltspflichten im Unternehmen zu regeln. Zudem ist sehr entscheidend, wie lange die Produktionsprozesse noch aufrecht zu halten waren und sind.

Nach der Zuliefer- und Messeproblematik traten schnell die vielfältigen rechtlichen Fragen in den Vordergrund, die in Zusammenhang mit der Krise stehen. Größere Unternehmen haben in der Regel Pandemiepläne, auf die sie zurückgreifen und entsprechend agieren können. Aber auch bei kleineren Unternehmen gibt es entsprechende Maßnahmen.

Für eine Consumer-Branche wie unsere wurde dann schnell zu einem Kernproblem, dass die Nachfrage wegbrach. Die Ausgangsbeschränkungen weltweit reduzierten die Kundenbesuche an den „Point of Sales“ frühzeitig. Kurz zuvor getätigte Bestellungen wurden häufig erst gar nicht mehr abgeholt. Glücklicherweise durften die meisten Augenoptikerbetriebe in Deutschland geöffnet bleiben – wenn auch in Teilen nur zur Notversorgung –, weil sie mit ihrer zentralen Sehversorgung ein wichtiges Gesundheitshandwerk darstellen. Auch hier mussten die Inhaber aber natürlich die schwierige Abwägung treffen, zum Schutze ihre Mitarbeiter ihre Services herunterzufahren oder je nach regionalen Entscheidungen ganz zu schließen.

Auch auf die Augenoptik-Branche bleibt somit der Druck immens. Die deutsche augenoptische Industrie hat ihre Personalressourcen angepasst. Viele Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet. Einige sind getrieben, der drohenden Liquiditätsfalle zu entkommen. Entscheidend für alle ist eh, wie lange diese Krise anhalten wird. Und wie lange das Einzelne noch können. Schnell fielen individuelle Formulierungen, dass man das schon „so zwei bis sechs Wochen lang“ aushalten können. Ab drei Monaten aber hätten die meisten Lieferanten ein Riesenproblem.

Wer kann schon Handlungsempfehlungen geben in einer allumfassenden globalen Krise, die erst- und einmalig ist und keine Klarheit der Handlungsempfehlungen bieten kann? Nicht einmal die Virologen sind sich ja einig. Und wie viele Aussagen mussten in den letzten Wochen gleich am nächsten Tag wieder kassiert werden? Dann bereits oft versehen mit dem Anstrich von Naivität.

Gut für unsere Augenoptik-Branche in Deutschland ist, dass wir noch die opti hatten. Und das früh. Dadurch konnte das Gros der Orderpositionen noch ausgeliefert werden und die Warenlager dürften bei den opti-Besuchern gut gefüllt sein.

Bei SPECTARIS haben wir frühzeitig einen Krisenstab gebildet, der sich täglich zumindest einmal aus den homeoffices zusammentelefoniert. Bei ihm laufen die Meldungen und Herausforderungen unserer Mitglieder zusammen. Hier werden die Wünsche und Handlungsempfehlungen auch an die Politik formuliert. Und wir haben für unsere Mitglieder alles zu Wirtschaftshilfen, Regulatorischem, Außenhandel sowie der Aufrechterhaltung des Betriebes zusammengetragen, was in der Krise von Wert sein könnte. Selbstverständlich aktualisieren und ergänzen wir diese Übersichten fortlaufend.

eyebizz:  Mit welchen weiteren Entwicklungen ist zu rechnen? 

Die Sorge ist natürlich groß und berechtigt, dass wir uns nach der Corona-Krise in etwa im Jahr 1929 wiederfinden könnten. Jetzt geht es zunächst einmal darum, so viele Leben wie möglich zu retten. Aber die Existenz- und Zukunftssorgen ticken bei den Betroffenen natürlich laut nebenher. Da wir das Ende nicht absehen können, sind genauere Prognosen über die weiteren Entwicklungen leider unmöglich. Seitens SPECTARIS haben wir zunächst einmal drei zeitliche Szenarien fürs Wiederhochfahren der Wirtschaft aufgemacht, die wir mit unseren Mitgliedern diskutieren. Direkt nach Ostern, ab Juni oder ab August.

Schmerzhafte Veränderungen werden ja leider in fast allen Branchen anstehen. Dass aber die Augenoptik nun doch schnell zu den Onlineanteilen anderer Einzelhandelsbranchen aufschließt, ist nach den Umkehrentwicklungen der letzten Jahre doch nicht vorstellbar. Dafür bleibt die qualitativ hochwertige Sehversorgung zu komplex und genießen die AugenoptikerInnen in Deutschland ein zu großes Vertrauen. Die Amazons & Co. haben doch auch in dieser Krise vornehmlich von der Bestellung wenig erklärungsbedürftiger Produkte sowie der generellen Convenience profitiert. Die Unter-30-jährigen Fehlsichtigen werden die Augenoptik nun nach und nach in den nächsten Jahren auf Online umkrempeln. Welche Wirkung wiederum die oft beschworene „Sehtest-Killer-App“ haben wird – sollte sie eines Tages für Einstärkengläser verlässlich funktionieren –, bleibt dabei für mich die spannendste Frage.

eyebizz: Gibt es Ratschläge?

Wir hatten den Unternehmen zu Beginn vor allem empfohlen, die Kommunikation zu stärken. Sowohl nach innen als auch nach außen. Sie sollten sich frühzeitig mit ihren wichtigen Partnern und Lieferanten und Kunden absprechen um immer wieder die Situation aktuell neu zu bewerten und zu kommunizieren. Sinnvoll war es, entsprechende Stabstellen einzubinden, um Fragen zu klären wie beispielsweise, ob Bauteile aus weniger betroffenen Ländern bezogen werden können. Oder ob Vertragswerke auch Regelungen zu Force Majeure, also zu Höherer Gewalt, beinhalten und unter welchen Bedingungen gegebenenfalls verzögerte Lieferungen erfolgen können. All diese Anstrengungen müssen auf jeden Fall auch dokumentiert werden, sollte es später doch zu Rechtstreitigkeiten kommen. Und Unternehmen sollten überprüfen, ob Versicherungen vorhanden sind, wie beispielsweise Betriebsunterbrechungspolicen, die solche Fälle gegebenenfalls abdecken. Bei konkreten Fragen, beispielsweise zum Exportverbot, gibt es natürlich auch noch die Hotlines der Ministerien und Ansprechpartner. Die wichtigsten Informationen dazu haben wir auch auf unserer Website zur Verfügung gestellt.

Da Brillen und Kontaktlinsen Medizinprodukte sind, war im Zuge der Lieferkettenproblematik für unsere Mitglieder auch genau zu überprüfen, ob ein Lieferantenwechsel im Hinblick auf die neue Medizinprodukteverordnung (MDR) möglich ist? Wie so häufig, kommt es darauf an… Und zwar, um welche Komponente es sich handelt. Wenn diese von einem Zulieferer kommende Komponente ein wesentlicher Bestandteil des Medizinproduktes ist, ist ein Lieferentenwechsel nicht so ohne weiteres möglich, denn der Hersteller muss für das Produkt als Ganzes eine Konformitätserklärung abgeben – aber: Er hat eine Zulassung für dieses Produkt mit den angegebenen Komponenten.

Zudem standen wir von Anfang an im engen Kontakt mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), das frühzeitig versucht hat, die Probleme der Unternehmen zu sammeln, zu dokumentieren und zu strukturieren. Außerdem unterstützt das BMWi dabei, alternative Lieferwege zu finden, um Produkte nach Deutschland zu bekommen. Anfragen dieser Art von unseren Mitgliedern haben wir dem Ministerium übermittelt und gemeinsam überlegt, welche Alternativen es gibt. Es gibt beispielsweise sehr starke Beschränkungen bei den Kapazitäten in der Luftfracht und hier waren die Preise schon frühzeitig sehr stark gestiegen. Das hat sich dann immer weiter verschlechtert. Außerdem sind die weltweiten Lieferwege nun stark eingeschränkt.

Unsere wichtigsten Forderungen an die Politik waren die unten aufgeführten – und die meisten wurden dank eines riesigen Kraftaktes ja schnell auf den Weg gebracht. Gleichwohl zeigten sich (zumindest anfangs) Schwierigkeiten, an die Finanzmittel auch wirklich heranzukommen. Und Schwindelgefühle verursacht die sich anbahnende Finanz- und Eurokrise angesichts der sich jetzt zusätzlich auftürmenden Schuldenberge in Europa (und über den ganzen Globus).

  • Kurzarbeit: Absenken des Quorums der im Betrieb Beschäftigten, die vom Arbeitsausfall betroffen sein müssen, auf bis zu 10 Prozent
  • Teilweise oder vollständiger Verzicht auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden
  • Ermöglichung des Kurzarbeitergeldbezugs auch für Leiharbeitnehmer
  • Vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit
  • Liquiditätshilfen
  • Messe-Entschädigungsfond

Zur Beseitigung von akuten Barrieren für die Versorgungskette sind wir mittlerweile mit verschiedenen Bundesministerien im Austausch und haben in einem ausführlichen Positionspapier Vorschläge und Empfehlungen gemacht.

Nach der Nothilfe werden dann später langfristige Konjunkturpakete („Marshall-Pläne“) wichtig sein.

Dabei bleiben wir in der steten Hoffnung, die Krise doch schneller überwinden zu können, als sich das mittlerweile die meisten ausmalen können.

Autor: Peter Frankenstein

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