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Neue Form der Brillenherstellung

3D-Druck: Augenoptik im Umbruch?

Brillen aus dem 3D-Drucker sind auf dem Vormarsch. Anfänglich von der Branche vielfach mit Skepsis betrachtet, springen jetzt bei immer mehr Mitbewerbern auf. Dabei werden die Grenzen, was technisch möglich ist, immer weiter verschoben. Die Entwicklung ist rasant: Manche sprechen vom größten Umbruch in der Augenoptik seit Erfindung des Gleitsichtglases, fast wöchentlich betritt ein neuer Akteur die Bühne. EYEBizz-Redakteur Jürgen Bräunlein gibt in der EYEBizz-Ausgabe 6.2016 einen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge.

Brillenfassung wird Schicht für Schicht aufgebaut

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Laser-sintern

Die computergesteuerte Technologie des 3D-Drucks, bei der dreidimensionale Werkstücke hergestellt werden können, hat viele Bereiche der industriellen Fertigung revolutioniert. Modelle und Musterteile werden präzise und schnell erstellt, Prototypen kostengünstig in Serie produziert. Anwendungsbereiche sind (Zahn)Medizin, Architektur, Design und besonders auch Maschinenbau. Jüngst erst präsentierte der europäische Flugzeugkonzern Airbus ein Motorrad, dessen sechs Kilogramm leichter Rahmen komplett per 3D-Druck aus Metallpulver im Laserschmelzverfahren gefertigt wurde.

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Sandstrahlen

Derzeit stellt die Industrie rund 15 verschiedene 3D-Druckverfahren zur Verfügung. Zur Herstellung von Brillenfassungen wird fast ausschließlich die Methode des selektiven Lasersinterns verwendet. Der Vorteil gegenüber anderen Verfahren ist das Fehlen von Ausschuss: Die fertige Brillenfassung wird dem Drucker direkt entnommen, ohne dass Material davon abgetrennt werden muss. Das Verfahren ist also nachhaltig, weil ressourcensparend.

Beim selektiven Lasersintern wird das Druckmaterial in Pulverform – bei der Brillenherstellung in der Regel Plastik – in einen sogenannten Bauraum gegeben. Durch Erhitzung werden die Kunststoffpartikel durch einen Hochleistungs-Laser unter einer Schutzatmosphäre miteinander verschmolzen.

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Gleitschleifen

Damit das 3D-Objekt von unten nach oben wachsen kann, wandert das Pulverbett zwischen jedem „Layer“ um die Höhe einer Pulverschicht nach unten. Auf diese Weise wird die Brillenfassung Schicht für Schicht aufgebaut. Je nach Dicke können das mehrere Tausend Schichten sein. Der Vorgang dauert viele Stunden.

Bei Schrägen und Rundungen kommt es aufgrund des Schichtverfahrens zu mehr oder weniger starken Treppenstufen. Deshalb müssen die fertig gedruckten Fassungen nicht nur gründlich gereinigt, sondern insbesondere auch die Oberflächen geglättet werden. Dann folgen je nach Designvorgaben weitere Bearbeitungsschritte wie Einfärben, Entgraten, die Nachbohrung von Löchern und ähnliches.

Die Pioniere bei den Brillenfassungen

Zu den Pionieren der 3D-gedruckten Brille gehört das Berliner Unternehmen Mykita, das nach mehrjährigen Experimenten 2011 mit „Mylon“ die (nach eigenen Angaben) „weltweit erste serielle Kollektion additiv gefertigter Brillen“ herausbrachte. Basis ist feinstes Polyamidpulver, für die spezielle Oberflächenveredelung der Fassungen hat man sich ein Patent sichern lassen. Die Absatz- und Umsatzerlöse von „Mylon“ liegen seit Einführung der Kollektion konstant im zweistelligen Bereich, wie zu hören ist. Im Jahr 2013 sollen 20.000 Brillen abgesetzt worden sein.

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Mykita

Augenoptikermeister Henrik Wieburg, der im hessischen Taunusstein gemeinsam mit Caroline Rudolph FrameLApp gründete, ist ebenfalls ein Vorreiter beim Einsatz der neuen Technologie. Für seine Kunden und im Auftrag anderer Augenoptiker fertigt Wieburg mittlerweile mehrere Tausend Brillen pro Jahr im 3D-Druck an. Den Online-Handel bedient er nicht. Die von den Partner-Optikern gemessenen Kunden-Parameter werden an FrameLApp übermittelt und dort vom hauseigenen 3D-Drucker individuell maßgefertigt. Scheibenhöhe und Scheibenbreite, Stegweite und Bügellänge sind individualisierbar. Zeitgleich bestellt der Augenoptiker die dazu passenden Gläser. „100 Brillenfassungen können in einem Durchgang von 24 Stunden gefertigt werden“, sagt 3D-Enthusiast Wieburg.

3D-gedruckte Brillen besitzen aufgrund des verwendeten Pulvermaterials ein hohes Maß an Stabilität und Formbeständigkeit und sind doch zugleich ungewöhnlich leicht. Monoqool, 2008 von zwei Dänen gegründet, vertreibt etwa 3D-gedruckte Modelle, die mit einem Gewicht von zehn Gramm „30 Prozent leichter als herkömmliche, normale Brillenfassungen sind“, wie das Unternehmen schreibt. Monoqool-Brillen verfügen über eine weitere Besonderheit: Die Brillenscharniere, die Front mit Brillenbügel vereinen, sind komplett schraubenlos, was – laut Monoqool – nur durch die einzigartige Technologie der 3D-Druck-Herstellung möglich ist.

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Hoet

Patrick Hoet, designorientierter Brillenhersteller aus Belgien, hat sich ebenfalls frühzeitig für den industriellen 3D-Druck interessiert und bei Herstellung und Werkstoffauswahl gründlich experimentiert. In Zusammenarbeit mit Raytech, einem Unternehmen für Metallverarbeitung, und EOS, einem weltweit tätigen Spezialisten für Lasersintern mit Metall, brachte Hoet als erster Brillenfassungen auf dem Markt, die aus Metall gedruckt wurden, was lange Zeit kaum realisierbar schien. Als Werkstoff verwendete man EOS Titanium Ti64. Die filigranen und komplexen Titan-Gitterstrukturen der Fassungen wären, wie es heißt, mit herkömmlichen Herstellungsmethoden nicht machbar gewesen. Zudem sparte man Kosten für Werkzeugbau ein, wie sie im klassischen Metallbaugewerbe sonst anfallen. Der 3D-Druck in der Augenoptik schafft also durchaus Innovationen und verhilft „dem Design von Brillen zu Zusatznutzen und mehr Ästhetik“, so jedenfalls Hoet. Carlotte Village, spezialisiert auf Acetat-Fassungen, bewegt sich in denselben Fußstapfen. Auf der diesjährigen Silmo in Paris stellte das kleine dänische Brillenlabel eine Titan-Brille vor, die ebenfalls im 3D-Druckverfahren hergestellt wurde.

Mit Silmo d’Or ausgezeichnet

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Morgenrot

Auf der Silmo sorgen 3D-gedruckte Brillen ohnehin seit einigen Jahren für Aufsehen. Das süddeutsche Start-up Morgenrot Eyewear gewann bei der Kollektionspremiere auf der Silmo 2014 den „Silmo d’Or“-Award in der Kategorie „Frame Technological Innovation“. Joachim Bischoff, seit 1983 unabhängiger Brillendesigner und kreativer Kopf von Morgenrot, ist daran gelegen, die „nahezu unbegrenzten Umsetzungsmöglichkeiten des 3D-Druckverfahrens auszureizen“. Dazu gehört auch ein patentiertes Montage-System, das eine einfache und sichere Verbindung der Titanbügel mit der 3D-gedruckten Front aus Polyamid ermöglicht.

Ebenfalls mit dem „Silmo d’Or“ ausgezeichnet wurde 2015 die Xchanger-Sportbrillen-Kollektion von Seiko Optical Europe, in diesem Fall für herausragende optische Innovation in der Kategorie Sportausrüstung. Die Brillen verbinden ergonomisches Brillendesign mit den Vorteilen des 3D-Drucks und des gewählten Materials. Entstanden ist ein in fünf Größen variables Sportbrillenkonzept aus einer seidenartigen Molekularstruktur, die stabiler als Acetat ist und leichter als Titan. Dank der Designfreiheiten durch „selektives Lasersintern“ konnten ein spezielles Anti-Fog-Belüftungssystem sowie ein Mechanismus zum Austauschen der Gläser in den Brillenrahmen integriert werden. Alle Fassungsteile sind farblich individuell auf den Kundengeschmack abzustellen.

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Seiko

Nicht nur Seiko, auch andere langgediente Marken wie IC!Berlin (seit 2015) und Götti (seit diesem Jahr) drängen auf den Markt für 3D-gedruckte Brillen. „Fast wöchentlich betreten neuen Akteure die Szene, man verliert die Übersicht“, mein auch Optometrist Yannick Fetsch, der seine Bachelor-Abschlussarbeit zum Thema „3D-Druck in der Optik“ geschrieben hat. „Viele der Start-ups kommen aus Deutschland, das Land hat hier eine Vorreiterrolle, das Niveau ist hoch.“

Färbung und Veredelung bleiben Herausforderungen

Färbung und Veredelung von 3D-gedruckten Fassungen waren lange eine Herausforderung und sind es immer noch. Das Grundmaterial ist weiß bzw. grau und wird dann eingefärbt. Einige Hersteller hatten anfänglich Probleme, weil die Fassungen nach längerem Gebrauch abfärbten. Dieses Problem wurde mittlerweile behoben, andere Einschränkungen bleiben: Mehrfarbigkeit und farbige Muster sind derzeit noch nicht möglich, auch was den Materialmix betrifft, sind den Herstellern noch enge Grenzen gesetzt. Pro Drucker lässt sich nur ein Material verwenden. Allerdings kann die Zusammensetzung schon jetzt variiert werden, wenn man eben experimentiert. Das Hamburger Brillenlabel Prolet hat gerade mit Brillenfassungen aus Nylonpulver debütiert. 20 Modelle umfasst die erste Kollektion. Doch man steht erst am Anfang, wie Paul Asmuß, einer der Gründer, verrät. Bei der nächsten Kollektion wagt man den Sprung in eine echte Innovation, dann wird nämlich ein Metall-Kunststoff-Gemisch aus Aluminium und Nylonpulver die Basis des 3D-Drucks sein.

Bedarfsgerechte Brillenherstellung

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Prolet

Der 3D-Druck hat schon jetzt nennenswerte Vorteile für die Augenoptik. Üblicherweise bleiben 30 bis 40 Prozent der Brillen unverkauft in den Schubladen der Großhändler und Fachgeschäfte liegen. Durch eine bedarfsgerechte Herstellung – gedruckt wird die Brille erst, wenn der Auftrag erteilt wurde –, können teure Lagerkosten vermieden werden. Vorteilhaft ist auch der kurze Zeitraum zwischen Fertigstellung der Fassung und Verfügbarkeit im Laden. Bereits zwei Monate nach der Systeminstallation am Drucker können die Brillenfassungen im besten Fall in den Verkauf gehen. Die Fertigung weiterer Brillen nimmt dann nur noch wenige Tage in Anspruch. Zwar lässt das Fertigungsverfahren keine Einsparungen durch Massenproduktion zu, dafür ist es die Einzelanfertigung vergleichsweise günstig.

Freiheiten für Augenoptiker und Kunden

Wieburg von FrameLApp ist sehr optimistisch: „Noch sind 3D-gedruckte Brillenfassungen ein Nischenprodukt, doch das wird sich ändern.“ Im Übrigen ist er sich sicher, dass 3D-Druck das Berufsbild des Augenoptikers komplett umkrempeln wird.“ Tatsächlich eröffnen sich so neue Optionen.

Beispiel Framepunk in Berlin Kreuzberg: Gründer Andreas Ketzlar stammt aus einer Optiker-Familie aus Magdeburg und führt das Brillengeschäft nun in zweiter Generation. Mittlerweile bietet er seinen Kunden Brillen in 3D-Druck an. Die Brillen von Framepunk gibt es bei jeder Form in jeweils fünf unterschiedlichen Brillengrößen und 17 Standardfarben. Die klassische Frame-Punk-Kollektion kostet 249 Euro inklusive Korrektionsgläser und ist in fünf bis 14 Tagen lieferbar. Für 100 Euro mehr bekommt der Kunde eine Maßanfertigung mit der Bestimmung individueller Parameter für den perfekten Sitz (zum Beispiel Nasenwinkel, Brückenweite, Rahmenbreite, Bügellänge usw.), auch sind Gravuren möglich wie Namen oder Logos. Ketzlar schwört auf 3D-Druck: „Optiker wie ich haben jetzt die Möglichkeit, kleine Serien zu kreieren und ihre eigenen Labels zu entwickeln, dadurch werden sie unabhängiger von den großen Herstellern. Für den Kunden wiederum wird das Angebot vielfältiger.“ Ketzlar lässt die Fassungen außer Haus drucken, er besitzt keinen eigenen 3D-Drucker. Dafür müsste er rund 200.000 Euro berappen, wollte er qualitativ akzeptable Brillenfassungen für den Endkunden produzieren.

Auf der diesjährigen Silmo kündigte Hoya schließlich mit „Yuniku“ die – nach eigenen Angaben – „global erste seh-zentrisch optimierte Brille – hergestellt in 3D-Drucker-Technologie“ an. Auf Basis der gescannten Gesichtsmerkmale des Kunden und der visuellen Anforderungen werden, so heißt es, mit einer speziell entwickelten Software „die optimalen Trageparameter definiert“, festgelegt und eine automatische Größenempfehlung für die Fassung erstellt. Die grundlegende Brillenfassungskollektion wurde in Zusammenarbeit mit dem 3D-Druck-Unternehmen Materialise und dem hier schon erwähnten Hoet Design Studio entwickelt, Näheres wird der deutsche Markt auf der opti im Januar erfahren. Ausgehend vom 3D-Druck soll – so jedenfalls die Vision – die absolut individuelle Brille für jeden Realität werden. Das Zauberwort dazu heißt parametrisiertes Design, bei dem es möglich wird, ein Produkt durch Einstellung verschiedener Eigenschaften in quasi unendlichen Varianten per Knopfdruck zu erstellen.

Und was fehlt? Richtig: das 3D-gedruckte Brillenglas. Die gibt es aber auch schon, hergestellt von der LUXeXcel Group mit Hauptstandort im niederländischen Goes. Mit der von LUXeXcel patentierten „Printoptical Technology“ wird der Kunststoff in einem atemberaubend schnellen Verfahren Tröpfchen für Tröpfchen aufgetragen – und alles geschieht digital.

 

Autor: Jürgen Bräunlein, EYEBizz

 

 

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo Herr Schneider, das lässt sich so pauschal sicherlich nicht beantworten. Was man aber sagen kann: 3D- gedruckte Fassungen können schon in kleineren Stückzahlen hergestellt werden und dabei auch oft individuelle Kundenwünsche besonders berücksichtigen. Es gibt mittlerweile eine stabile Fangemeinde von 3D-gedruckten Brillenfassungen, die sich an der besonderen Machart bzw. auch Materialanmutung erfreuen. Und ja, es gibt durchaus preislich erschwingliche Modelle. Herzlichst Jürgen Bräunlein

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  2. Interessant, dass man auch Brillen mit dem 3D-Drucker herstellen kann. Wenn ich es richtig verstehe, haben solche Brille mehr Stabilität. Zahlt man als Kunde auch weniger für solche Brillen?
    https://www.mayeraugenoptik.at/de/brillen-3d-drucker/

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