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eyebizz-Umfrage unter Augenoptiker*innen

Wie mit Glas-Reklamationen umgehen?

Brille - Brillengläser - Durchblick
Wie gehen Augenoptiker*innen mit Kunden-Reklamationen bei Brillengläsern um? Eine Umfrage von eyebizz ging dem nach (Bild: Pixabay)

Kunden-Reklamationen mag kein Augenoptiker: Bei komplexen Brillenglas-Designs und hochwertigen Beschichtungen können sie betriebswirtschaftlich zu Buche schlagen oder rufschädigend sein. eyebizz befragte im Januar zum Umgang mit Glas-Reklamationen: 178 Augenoptiker*innen nahmen teil, vier weitere verrieten im Einzelinterview ihre Vorgehensweise.

Eine gute Nachricht vorweg: Glas-Reklamationen – so ein Ergebnis der Befragung – sind in den letzten fünf Jahren bei 85 % der Teilnehmenden gleichgeblieben oder sogar zurückgegangenen. Offenbar bilden Augenoptiker*innen und ihre Kunden in der Regel ein gutes, einvernehmliches Team.

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79 % der Befragten akzeptieren jede Reklamation, obwohl sie nur 37 % davon für gerechtfertigt halten. Ein nur scheinbarer Widerspruch. Augenoptiker*innen nehmen eine ungerechtfertigte Reklamation auch deshalb auf die eigene Kappe, um keine Kunden zu verlieren.

Unter den häufigsten Gründen einer Reklamation nennen 24 % der Antwortenden „Kunden sehen nicht so gut, wie sie erwartet hätten“, 23 % „Probleme bei der Eingewöhnung“ und immerhin 15 % „mangelhafte Glasqualität“. 67 % der Befragten kennen das Phänomen, dass ein Proband mit einem Gleitsichtglas in vermeintlich besserer Qualität keinen Unterschied zu seinem bisherigen Standardglas feststellt.

eyebizz Umfrage 2-2022 Glas-Reklamationen Gründe
eyebizz-Umfrage zu Glas-Reklamationen: die häufigsten Gründe (Quelle: eyebizz 2.2022)

Im Vergleich Einstärkengläser versus Gleitsichtgläser betreffen 67 % der Reklamationen die Gleiter. 84 % der teilnehmenden Fachleute geben hier eine Garantie, häufig bis zu sechs Monate auf die Verträglichkeit, zwischen zwei und drei Jahre auf Beschichtungen.

Gefolgt wird in der Regel den Vorgaben der Hersteller. Und die schneiden in der Umfrage gut ab: 79 % der Befragten finden ihre Glashersteller optimal oder häufig kulant, 17 % immerhin angemessen kulant.

Es gibt aber auch Kritik. So wünschen sich Augenoptiker*innen „bessere Produktschulungen“ und „weniger Werbesprache bei den Brillenglas-Broschüren (‚das beste Brillenglas aller Zeiten‘)“. Angeregt wird auch „ein Online-Forum zur Gleitsichtverträglichkeit“.

/// JUEB

 

Die Top 7 der geschilderten Glas-Reklamationen

Eine subjektive Auswahl aus 125 (!) Einzelberichten:

1. Kunde entscheidet bereits nach zwei Sekunden, dass die Brille nicht gut ist.

2. Ein Kunde argumentiert: Mein Mann und meine Tochter können mit der Brille auch nicht sehen.

3. Es gibt immer öfter Kunden, die den Kopf nicht bewegen wollen und dann durch Augenverrollen „schlecht“ sehen.

4. Ein Kunde hatte nach der Lieferung von uns eine Angebotsbrille mit etwas anderer Stärke im rechten Glas bei einem Filialisten erworben. Er reklamierte daraufhin unser Glas. Wir haben dem Kunden die Gläser im Vergleich vorgehalten, im Refraktionsraum und auf der Straße. Er konnte nachweislich mit unserem Glas besser und klarer sehen, bestand aber auf den Austausch des Glases. Wir haben das letztendlich gemacht, auch kostenlos.

5. Kundin hat die Brille in der Spülmaschine mitgewaschen, weil sie vom Streichen der Wände Farbe auf den Gläsern und der Brillenfassung hatte. Mit Pinselreiniger wollte sie nicht dran. Sie dachte, dass im 40-Grad-„Gläserprogramm“ der Spülmaschine nichts passieren dürfte. Außerdem hat sie nur ökologisches Spülmaschinenpulver verwendet. Die Gläser-Beschichtung hat es nicht ausgehalten. Der Brillenfassung ist nichts passiert.

6. Beschichtungs-Reklamation nach acht Jahren.

7. Eine 85-jährige sehbehinderte Dame sagt zu uns, als die Angehörigen außer Hörweite sind: Junger Mann, ich kann mit der Brille zwar wieder besser lesen, aber ich will sie nicht, denn meine Kinder sollen sich weiterhin um mich kümmern.

 

 

Wie mit Glas-Reklamationen umgehen?

Augenoptiker*innen verraten ihre Tricks

 

„Das Wort Reklamation klingt konfrontativ“

Nicole Stolz, in der Innung engagierte Augenoptikermeisterin, Coach und Inhaberin von Stolz Augenoptik, Ludwigshafen am Rhein

Es gibt für mich per se keine Reklamationen. Das Wort allein klingt für mich konfrontativ, deshalb verwende ich es nicht. Ich sehe mich als Problemlöserin. Haben wir ein „Thema“, so lösen wir es. In Abstimmung mit unseren Kunden!

Stolz Augenoptik - Nicole Stolz
Nicole Stolz (Stolz Augenoptik)

Dabei lasse ich unsere Kunden nicht gänzlich aus der Eigenverantwortung. So ist es für uns unabdingbar, das Thema Brillenpflege anzusprechen, schon allein, um für unsere Kunden einen einwandfreien, langfristigen Erhalt unserer wertgeschätzten Arbeit zu gewährleisten.

Ich kann so gut arbeiten, wie ich will, wenn die Brille falsch behandelt wird, dann ist sie irgendwann, meist unbeabsichtigt, beschädigt. Doch ein Kunde kann sich nur so verantwortungsbewusst verhalten, wie er aufgeklärt ist. Das können wir Augenoptiker*innen leisten und aufklären, warum Gläser mit bestimmten Beschichtungen hochwertiger sind und wie die Beschichtungen aufgebracht werden. Damit der Kunde versteht, wie er sie richtig pflegt und behandelt, je nach Glasvariante, für die er sich entschieden hat. Als Augenoptikerin und Begleiterin meiner Kunden zu ihrem besten Sehen möchte ich ihr Verantwortungsbewusstsein liebevoll-kompetent wecken.

Wenn ein Augenoptiker dieses Wissen (noch) nicht hat oder nicht an seine Kunden weitergibt, dann riskiert er eine mögliche „Reklamation“, die vielleicht vermeidbar wäre. Ich gebe allen meinen Kunden eine Wertschätzung zu der Brille, die sie gerade abholen, egal ob sie 50 oder 500 Euro kostet. Vielleicht ist es bei dem, der wirtschaftlich nicht ganz so gut dasteht, sogar noch wichtiger, ihn über richtige Handhabung und Reinigung aufzuklären.

Um so verantwortungsvoll arbeiten zu können, muss mein Wissen über Brillengläser immer aktuell sein. Bringt einer unserer Lieferanten ein neues Produkt auf den Markt, kann es passieren, dass ich mich mit einem der Produktentwickler verbinden lasse und mich erkundige: Welche Erfahrungswerte habt Ihr von den Probanden, die das Material/Glas getestet haben, bekommen? Wo zeigte das Produkt seine Grenzen? Mit dem Wissen kann ich meine Kunden noch besser beraten. Und das begeistert uns immer wieder aufs Neue.

 

„Der Frust darf nicht abfärben“

Torsten Becker, Inhaber Optiker Kühntopp Berlin, spezialisiert auf Low Vision

Herr Becker, wie hoch ist Ihre Reklamationsquote bei Gleitsichtgläsern?

Bei Gleitsichtgläsern würde ich sagen, von zehn Kunden sind es vielleicht zwei, die nochmals wiederkommen.

Was sind typische Reklamationsgründe?

Optiker Kühntopp - Torsten Becker
Torsten Becker (Optiker Kühntopp)

Da kommt z.B. ein Kunde, dem wir ein Premium-Gleitsichtglas verkauft haben, und sagt: „Ich hätte gerne eine Zweitbrille nur fürs Auto, machen Sie mir etwas Einfaches.“ Anschließend behauptet er, damit könne er viel besser sehen als mit der teureren, und ist unzufrieden. Doch wie intensiv trägt er sie? Bei einer Ersatzbrille, die weniger gekostet hat, sind die Ansprüche per se niedriger. Dann gibt es hin und wieder den notorischen Reklamierer, der schaut, ob er gegen Ende der Gewährleistung noch etwas findet, was sich beanstanden lässt.

Wie gehen Sie damit um?

Jede Reklamation ist eine Chance. Bearbeiten wir sie gut, kann das die Kundenbindung enorm steigern. Doch wir nehmen den Kunden auch mit in die Verantwortung, wenn die Ursache der Reklamation nicht bei uns liegt. Dann geben wir auf Ersatzgläser einen fairen Nachlass und haben so eine Ebene, auf der wir uns entgegenkommen.

Zu unseren Grundsätzen gehört auch, dass wir die Erwartungshaltung bei unseren Kunden vorher ins rechte Licht rücken. Wir stutzen die Werbeaussagen der Hersteller auf ein gesundes Maß herunter. Denn alles, was ich dem Kunden vorher sage, ist Erklärung, und alles, was ich hinterher sage, Rechtfertigung.

Wie kulant sind die Glaslieferanten?

Haben Sie einen Stamm-Glasanbieter, den Sie vorzugsweise nutzen, geht das relativ gut, aber ich merke doch zunehmend, dass die Hersteller unter wirtschaftlichem Druck stehen. Wenn Sie da nicht der Superkunde sind, kann es schon zu Diskussionen kommen.

Hat Ihnen eine dreiste Kunden-Reklamation schon mal den Tag versaut?

Man muss sich da schützen, der Frust darf nicht abfärben. Der nächste Kunde, der das Geschäft betritt, verdient dieselbe volle Aufmerksamkeit. Ich gebe wieder 110 Prozent.

 

„Reklamationen kommen bei tiefstehender Sonne“

Harald Martin, Eigentümer Optikhaus Feucht in Feucht bei Nürnberg, seit 35 Jahren in der Branche

Herr Martin, wie viele Ihrer Kunden-Reklamationen sind gerechtfertigt?

30 bis 40 %. Alles andere sind asthenopische Beschwerden, technisch oder wissenschaftlich nicht erklärbar. Diese Reklamationen kommen oft im Frühjahr und im Herbst bei tiefstehender Sonne, wenn von hinten das Licht kommt und manche Brillenträger plötzlich störende Reflexe sehen.

Es gibt viele Reklamationen, bei denen keine Materialfehler vorliegen, aber wir tauschen die Gläser trotzdem aus, weil wir zufriedene Kunden haben wollen. Bei Gleitsichtgläsern geben wir eine Geld-Zurück-Garantie.

Welche Reklamationen gibt es insbesondere bei Gleitsichtgläsern?

Optikhaus Feucht - Harald Martin
Harald Martin (Optikhaus Feucht)

Eine Kunde, der vorher eine sehr kleine Brille hatte, steigt auf eine große Fassung um und hat jetzt deutlich mehr Randbereiche, die überhaupt nicht zum Scharfsehen da sind. Er ist deshalb enttäuscht, zumal er ein hochwertigeres Brillenglas gekauft hat als bei der Vorgängerbrille. Eine unschöne Situation. Ich kann ihm nur sagen, dass er den Unterschied zur kleinen Fassung noch mehr spüren würde, wenn er bei der gleichen Glasqualität geblieben wäre.

Ein anderes Beispiel: Ein Kunde hat ein tolles Gleitsichtglas, möchte nach drei Jahren eine neue Brille mit den veränderten Werten und demselben Glas, doch das führt der Hersteller nicht mehr. Er bietet ein anderes, vermeintlich besseres Glasdesign an, doch der Kunde kommt einfach nicht damit zurecht.

Wie kulant sind die Glashersteller?

Deutlich kulanter als früher, weil sie mehr Druck haben. Sie sind spürbar daran interessiert, auch kleinere Augenoptiker*innen als Kunden zu halten, weil sie hier bessere Margen erzielen als bei den großen Filialisten, die gute Rabatte einfordern können.

Manche Augenoptiker*innen versuchen das Wort Reklamation im Gespräch mit den Kunden zu vermeiden. Sie auch?

Nein. Ich halte nichts davon, das Wort zu vermeiden. Man sollte das Kind schon beim Namen nennen.

 

„Manchmal entsteht ein Zusatzverkauf“

Katja Schmid, Inhaberin von Sehform, Landsberg am Lech, mit reinem Frauenteam

Was sind Ihre Grundsätze bei Reklamationen?

Sehform - Katja Schmid
Katja Schmid (Sehform)

Ich versuche herauszufinden, welches Bedürfnis nicht erfüllt wurde und welches Gefühl mir der Kunde gerade auf der Skala zwischen Wut und Gelassenheit zeigt. Ich setze mich mit ihm an einen ruhigen Platz, biete etwas zu trinken an, bleibe selbst gelassen. Ich gehe nie mit ihm in Diskussion, sondern bestätige, dass ich seine Reklamation ernst nehme. Ist die berechtigt, entschuldige ich mich für die Unannehmlichkeiten. Ist sie unberechtigt, halte ich Rücksprache mit dem Hersteller.

Langjährige Kunden werden in diesem Fall sehr kulant behandelt, bei allen anderen versuchen wir eine gut verträgliche Lösung zu finden. Wir sprechen dann nicht von Reklamation, sondern Kulanzregelung. Manchmal entsteht dadurch ein Zusatzeinkauf. Durch diesen interessenbasierten Ablauf haben wir keine unangenehmen Reklamations-Gespräche mehr.

Was sind schwierige Reklamationen?

Vier, fünf Monate nach Garantie kommt der Kunde, weil sich auf dem Brillenglas eindeutige Schichtablösungen zeigen. Das ist immer eine ungute Geschichte. Auf die Beschichtung geben wir eine Garantie zwischen zwei und drei Jahren. Danach ist es in unseren Augen höchste Zeit, wieder die Stärke zu messen. Meistens liegt dann auch eine Veränderung vor. So versuchen wir den Kunden von einem Sehtest zu überzeugen, ihm eine neue Brille schmackhaft zu machen. Meistens ist dann der Hersteller bereit, 50 Prozent auf die neuen Gläser zu geben oder der Kunde bekommt die Beschichtung kostenfrei dazu.

Kommt es vor, dass ein Kunde mit einem Premium-Gleitsichtglas keinen Unterschied zu seinem bisherigen Standardglas feststellt?

Faktisch nicht mehr. Neue Glastechnologien sind spürbar besser, die Leute, die Premium-Gleitsichtgläser tragen, kaufen fast immer auch weiterhin die beste Qualität, weil sie die Unterschiede merken. Allerdings müssen Kunden diesen Weg auch gehen wollen, bereit sein, das Geld auszugeben. Wir bekommen dabei viel positives Feedback. Geschätzt 80 % unserer Kunden gönnen sich hochwertige Technologien, wenn wir ihnen die Unterschiede erklären, und sind bereit sich persönlich etwas Gutes zu tun.

 

Die Interviews führte Jürgen Bräunlein.

 

And the winners are …

Herzlichen Dank an alle 178 Teilnehmer, die diese Ergebnisse erst möglich gemacht haben! eyebizz loste per Zufallsgenerator drei Gewinner aus: Anja Ferrara (Die Brille), Torsten Kremser (Optik Kremser) und Ulrike Limburg (Optik im Schloss) bekamen jeweils eine Flasche Stilio Primitivo di Maduria DOC – Mottura 2019, ein Geheimtipp aus Apulien. Wohl bekommt‘s!

 

Artikel aus der eyebizz 2.2022 (Februar/März)

 

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