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Frauen-Gleichstellung geht nur langsam voran

Weltfrauentag 2021: Musterbrecherinnen gesucht

Weltfrauentag 2021 - Boxhandschuhe für Musterbrecherinnen
Weltfrauentag 2021: Müssen Frauen die Boxhandschuhe anziehen, um mehr Gleichstellung zu erreichen, wie in der Musterbrecherinnen-Studie vorgeschlagen? (Bild: The Culture Institute /Adobe Stock)

Der Weltfrauentag am 8. März gibt jedes Jahr eine Bestandsaufnahme über die weltweite Gleichstellung der Geschlechter, oder besser gesagt die Nicht-Gleichstellung. Statistiken aus vielen Bereichen zeigen auch 2021 ein Ungleichgewicht auf, auch in der Augenoptik. Aber wie schafft frau wirkliche Veränderungen, und das zügig? Eine Studie aus der Schweiz hat „Musterbrecherinnen“ befragt.

Geschlechter-Gleichstellung in Europa

Der Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen zeigt die Situation in Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn. Er bewertet dabei sechs Kategorien in Bezug auf die Geschlechter: Arbeit, Geld, Bildung, Zeit, Macht und Gesundheit. Hinzu kommen Faktoren wie etwa Gewalt gegen Frauen.

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Deutschland liegt in der Grafik von Statista vom 5. März mit 67,5 von 100 möglichen Punkten auf Rang 13. Dass die Entwicklung sich nur sehr langsam verbessert, zeigt der Indexwert für die gesamte EU: 2015 waren es 66,2 Punkte, ein halbes Jahrzehnt später 67,9 Punkte. Am fortschrittlichsten ist Schweden (83,8). Am schlechtesten schneidet Griechenland ab (52,2).

Statista - Gleichstellung Europa 2020

Teilzeitquote bei Müttern

Dazu passt die Meldung des Statistischen Bundesamtes (Destatis), ebenfalls vom 5. März, über die Erwerbstätigenquote deutscher Mütter. Demnach waren 2019 drei von vier Müttern in Deutschland erwerbstätig (74,7%), mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren. Die Quote ist laut Destatis in den vergangenen zehn Jahren gestiegen: 2009 lag sie noch bei 66,7%. Frauen mit Kindern stehen allerdings weiterhin deutlich seltener im Arbeitsleben als Männer in derselben familiären Situation: Der Anteil der erwerbstätigen Väter mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren blieb im selben Zeitraum nahezu konstant und lag 2019 bei 92,9%.

Die aktuelle Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Job betrifft demnach 6 Millionen Frauen in Deutschland, von denen ein Großteil wegen der Familie ohnehin schon beruflich zurücksteckt. So arbeiteten 2019 zwei Drittel aller erwerbstätigen Mütter mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren in Teilzeit (66,2%). Bei Vätern in derselben Situation waren es zuletzt nur 6,4%. Allerdings war hier in den vergangenen Jahren eine leichte Annäherung zu beobachten: 2009 lagen die Teilzeitquoten von Müttern (68,8%) und Vätern (5,3%) noch weiter auseinander.

Destatis - Frauen Teilzeit EU 2019

Verglichen mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Teilzeitquote in Deutschland allerdings besonders hoch: 66,7 % der Frauen mit mindestens einem Kind unter 12 Jahren arbeiteten 2019 in Teilzeit, im EU-Durchschnitt waren es nur 34,9%. Damit liegt Deutschland auf Platz 3 unter den EU-27, eine höhere Teilzeitquote bei Müttern jüngerer Kinder haben nur die Niederlande (83,7%) und Österreich (69,4%).

Zum Vergleich: Väter in Deutschland in derselben Situation reduzieren ihre Arbeitszeit nur selten, aber ebenfalls häufiger als im EU-Durchschnitt. Der Unterschied fällt bei einer Teilzeitquote von 6,9% im Vergleich zu den EU-weiten 5,5% allerdings deutlich geringer aus.

Weltfrauentag in der Corona-Krise

Hohes Infektionsrisiko und Dauerbelastung: Erwerbstätige in bestimmten Berufen haben unter der Corona-Pandemie besonders stark zu leiden. Häufig betrifft dies Berufe, in denen der Frauenanteil besonders hoch ist. So waren im Einzelhandel mit Lebensmitteln im Jahr 2019 vier von fünf Erwerbstätigen Frauen (Anteil von 80,8%). Noch höher lag der Frauenanteil im Bereich Altenpflege mit 84,2%. Kitas und Schulen werden ebenfalls als mögliche Infektionsherde für Sars-CoV-2 bezeichnet, auch dort ist das Personal überwiegend weiblich: Im Bereich Erziehung und Sozialarbeit lag der Frauenanteil laut Destatis zuletzt bei 83,5%, unter den Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen bei 72,8%.

Augenoptik „weiblich dominiert“

Auch in der als systemrelevant gesehenen Augenoptik ist der Frauenanteil hoch. Das hält der ZVA im Branchenbericht 2019/2020 so fest: „Über alle in der Branche arbeitenden Personen hinweg ist die Augenoptik ein weiblich dominierter Beruf mit einem Frauenanteil von 61%.“

ZVA Branchenbericht 2019 / 2020 - Geschlechterverteilung Augenoptik

Und hier das Aber: „Bei den Inhabern dominiert jedoch nach wie vor das männliche Geschlecht mit einem Anteil von circa drei Vierteln (76%). Auch bei den Meistern (beinhaltet sind hier auch Fachhochschul- und Hochschulabsolventen als Diplomingenieur, Bachelor oder Master) liegt der Anteil der Männer mit 58% über demjenigen der Frauen. Insbesondere bei den Gesellen, den Auszubildenden und den „sonstigen Mitarbeitern“ trifft die Aussage der Augenoptik als weiblich dominiertem Beruf jedoch ohne Einschränkung zu.“ (Quelle: ZVA-Branchenbericht 2019/2020)

Frauenanteil in Vorständen

Das sieht in Führungsetagen anderer Branchen und großer Konzerne nicht anders aus. Die Anfang des Jahres beschlossene verbindliche Frauenquote für deutsche Vorstände soll helfen, den Frauenanteil dort zu steigern. Künftig muss in Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau sitzen. Einer Studie der Organisation FidAR zufolge ist fast die Hälfte der börsennotierten Unternehmen (44 Prozent), die derzeit keine Managerin in diesem Führungsgremium haben, davon betroffen, vermeldete beispielsweise die „Zeit“.

Fielmann-Vorstand Personal ab März 2021 - Katja Groß
Im Fielmann-Vorstand seit März 2021: Katja Groß ((c) Fielmann)

Nicht mehr so bei Fielmann, denn dort sitzt seit dem 1. März mit Katja Groß die erste Frau im Vorstand der AG. Sie übernahm das Personalressort, das seit 2018 übergangsweise vom Vorstandsvorsitzenden Marc Fielmann geführt wurde. Der vierköpfige Vorstand war bisher rein männlich besetzt und wurde nun erweitert.

„Die Vorstandsberufung von Frau Groß durch den Aufsichtsrat der Fielmann AG schließt einen langfristig geplanten Nachfolgeprozess ab. Frau Groß hat in 19 Jahren die kundenfreundliche Philosophie unseres Unternehmens verinnerlicht und sich besonders im Jahr der Coronavirus-Krise als strukturierte, aber gleichzeitig empathische Führungskraft bewiesen“, hieß es dazu in der Pressemeldung von Marc Fielmann, Vorstandsvorsitzender der Fielmann AG. Die zahlreichen Schlagzeilen in der Wirtschaftspresse zu dieser Personalie verdeutlichten den Ausnahme-Faktor.

Reichen gängige Diversity-Programme?

„51% der Menschen in Deutschland sind Frauen. 9,2% der Vorstände in Deutschland sind Frauen. 0,000151% aller Frauen in Deutschland sind Vorstände.“ So beschreibt Gründer und Geschäftsführer Dr. Simon Sagmeister von The Culture Institute aus der Schweiz die aktuelle Situation. Doch wie die Gleichstellung der Frauen auch in Führungspositionen beschleunigen? Samthandschuhe anbehalten oder besser Boxhandschuhe anziehen?

Für ihre aktuelle „Musterbrecherinnen-Studie“ hat das Institut über 40 Frauen in Spitzenpositionen befragt. Es zeigte sich, dass nur 16% der befragten Frauen eine Gleichstellung der Geschlechter in Unternehmen erreicht sehen. Und außerdem: Weit verbreitete Praktiken, wie zum Beispiel gängige Diversity-Programme oder standardisierte Mentorings, würden in die falsche Richtung gehen.

The Culture Institute - Studie Musterbrecherinnen - was Firmen für Frauen attraktiv macht
Leistungskultur statt Diversity-Programm – was Firmen für Frauen attraktiv macht (Quelle: Studie Musterbrecherinnen, The Culture Institute)

Die Musterbrecherinnen haben basierend auf dem „Business Culture Design“-Ansatz bewertet, was ihnen bei ihrer Karriere besonders geholfen hat. Zwei Kulturmuster seien beim Weg nach oben besonders wertvoll gewesen: ausgeprägte Leistungskulturen, in denen man sich über Resultate profilieren kann, sowie individuelles Mentoring. Dem gegenüber stünden die gängigen Diversity-Programme, die typischerweise formal strukturierend und wenig leistungsorientiert sind.

The Culture Institute - Studie Musterbrecherinnen - Klassiker versus neu
Frauen in Klassiker versus neu – Spitzenpositionen fördern eine gesunde Innovationskultur (Quelle: The Culture Institute – Studie Musterbrecherinnen)

Viele klassische, bislang erfolgreiche Unternehmen im DACH-Raum seien stark im Exploitation-Modus, also im Optimieren des Tagesgeschäfts und inkrementeller (den schrittweisen Zuwachs betreffend) Innovationen. Was ihnen schwer fällt, sei Exploration, also das Erkunden und Ausprobieren des radikal Neuen.

Musterbrecherinnen gefragt

Das Führungsmuster der befragten Frauen weise genau jene Qualitäten auf, nach denen viele Unternehmen suchten, um lähmende Muster in der Unternehmenskultur aufzubrechen: Visionen, Querdenken und Mut.

Es helfe nicht, systemische Benachteiligungen wie fehlende Kinderbetreuung oder unpassende Arbeitszeitmodelle pauschal durch gutgemeinte Programme auszugleichen. Benachteiligungen müssten individuell beseitigt werden. Erst dann könne es laut Studie zu Spitzenleistungen und einem fairen Leistungsvergleich kommen. Dass eine solche Leistungskultur förderlich ist, darin sind sich die befragten Top-Managerinnen einig.

Es gelte daher, so das Fazit der Studie, die Samthandschuhe beiseite zu legen, für faire Bedingungen zu sorgen und dann die Boxhandschuhe in den Ring zu werfen. Die notwendigen Investitionen dafür kämen nicht nur den Frauen zugute, sondern würden auch den Unternehmen helfen, jene Kulturmuster zu entwickeln, die sie für die Zukunft bräuchten.

// PE

 

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