Warum Personas wirkungsvoller sind als Zielgruppen
Wegweiser zur erfolgreichen Neu-Positionierung – Teil 5
von Karin Stehr,
„Für wen ist das hier eigentlich gedacht?“ Diese Frage stelle ich gleich zu Beginn in meinen Beratungen. Und oft bleibt sie unbeantwortet. Einfach deswegen, weil Optiker:innen sich nur selten gezielt und bewusst für bestimmte Menschen als Wunschkunden entschieden haben. Das Sortiment ist hochwertig, das Geschäft schön eingerichtet, das Team freundlich. Alles wirkt kompetent und solide – und gleichzeitig ein bisschen beliebig. So wie dieses merkwürdige Wort „ansprechend“. Wen genau willst du überhaupt „ansprechen“?
Neu-Positionierung für Augenoptiker: hier als Beispiele die Personas Sami und Anna (Bilder: Karin Stehr / True Eyewear)
Viele Optiker:innen arbeiten noch wie vor einigen Jahren durchaus üblich mit einer vagen Zielgruppen-Definition: „40 bis 60 Jahre, berufstätig, qualitätsbewusst ….“
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Zielgruppe war gestern – heute geht’s vielmehr um echte Menschen
Personas gehen einen entscheidenden Schritt weiter. Sie beschreiben keine Statistik – sondern sind echte Sparringpartner in deinen Entscheidungs-Prozessen. Mit Vorlieben, Werten, Alltagsroutinen, Kaufmotiven, Unsicherheiten. Sie haben einen Namen, einen Stil, eine Geschichte. Und: Sie tragen Brille.
Zwei Brillen, zwei Welten
Nimm dir 30 Sekunden. Und stell dir zwei Kund:innen vor:
Anna, die Minimalistin.
Illustratorin. Lebt allein in einer Altbauwohnung.
Trägt Oversize-Hemd und Leinenhose.
Liebt Klarheit, Ruhe, Nachhaltigkeit.
Sucht wahrhaftige Beratung und ist allergisch gegenüber Floskeln.
Hasst grelles Licht, künstliche Düfte und zu viele Menschen im Geschäft.
Ihre Brille ist aus recyceltem Metall, zeitlos rund, filigran und wird gut gepflegt.
Sami, der Technikbegeisterte.
IT-Entwickler. Smart-Home-Liebhaber.
Trägt gern schwarze Funktionskleidung mit neonfarbenen Details.
Liebt Innovation, Effizienz und clevere Features.
Will smarte Fakten, keine Geschichten.
Findet es gut, wenn der Optiker alles über ein iPad steuern kann.
Seine Brille: kantig, modern, mit Blaulichtfilter.
Jetzt mal hypothetisch: Würden sich beide in deinem Geschäft zuhause fühlen? In dieser Konstellation ist das schon eine echte Herausforderung. Herzlichen Glückwunsch, wenn du es schaffst, für beide ein paar Elemente zu kreieren, die so unterschiedliche Lebenswirklichkeiten widerspiegeln. Wenn nein – für wen würdest du dich entscheiden?
Weniger Personas – mehr Wirkung
Viele glauben, sie müssten möglichst viele Menschen ansprechen, um erfolgreich zu sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Je klarer du weißt, wen du willst, desto stärker wirkt deine Marke. Drei bis fünf Personas reichen völlig. Je unterschiedlicher sie sind, desto mehr Platz brauchst du. Auf jeden Fall schlägt Fokus und Konsequenz Beliebigkeit.
Die richtigen Personas verändern die Art, wie Du geschäftliche Entscheidungen fällst
Du weißt, welche Brillen du einkaufen solltest.
Du weißt, welche Sprache du in Social Media benutzt.
Du weißt, was deine Kund:innen brauchen, bevor sie es sagen. Und dir fällt plötzlich auf:
Dass dein Schaufenster nicht zu Anna passt.
Dass dein Brillenpflegeset Sami nicht gefallen würden.
Dass deine Playlist alle gleich langweilt.
Neu-Positionierung für Augenoptiker: Personas-Arbeitsblätter (Bilder: Karin Stehr / True Eyewear)
Und genau da beginnt die Magie: Wenn du die Brillen und viele Details im Geschäft für jemanden auswählst, fühlen sich die Menschen, die dieser Persona ähneln, gesehen – auch wenn es unbewusst passiert. Und dann kommen sie wieder.
Und wie kommst du zu deinen Personas?
Mit ChatGPT diskutieren? Öffentliche Vorlagen nutzen? Klar, das kann man so machen. Aber meine Erfahrung ist: Richtig gute Personas entstehen nicht auf Knopfdruck, sondern im Austausch. Im kreativen Nachdenken über echte Menschen, über echte Begegnungen, über das, was funktioniert hat – und was nicht. Ich entwickle in meinen Beratungen Personas für jedes einzelne Geschäft. Sie geben Orientierung und vereinfachen Entscheidungen: von der Schaufenstergestaltung bis zur Signatur der E-Mail. Grundlage sind inzwischen 20 „Prototypen“, die ganz nah dran sind an realen Menschen und gemeinsam mit dem Team individuell abgewandelt werden.
Positionierung braucht deine Entscheidung – und die heißt: Für wen willst du da sein?
Du wirst nie „die richtige Brille für alle“ haben. Und das ist gut so. Denn du hast keinen Gemischtwarenladen (wie ein Großfilialist). Du stehst für Klarheit. Für Konsequenz. Für Menschen, die bei dir ihren Lieblingsoptiker gefunden haben. Personas können der entscheidende Hebel dafür sein.
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Bild: Karin Stehr / True Eyewear
Unabhängige Augenoptiker auf ihrem Weg zur eigenen Marke zu begleiten – das ist Karin Stehrs Mission mit True Eyewear. Mit 33 Jahren Erfahrung als erfolgreiche Augenoptik-Unternehmerin bringt sie tiefes Branchenwissen mit. Ihre kreative Natur kombiniert sie mit einem scharfen Sinn für Strategie, den sie ihrem vielseitigen beruflichen Werdegang verdankt: von der Spedition über den internationalen Handel bis hin zur Ausbildung als Werbetexterin. Ihre große Leidenschaft gilt den Independent Eyewear Brands – für sie die perfekte Grundlage, um einzigartige Geschäftskonzepte zu schaffen und den Mainstream hinter sich zu lassen.
Artikel aus der eyebizz 5.2025 (September/Oktober)
Serie „Wegweiser zur erfolgreichen Neu-Positionierung“
Teil 1: AO-Erfolgsmodell von gestern zukunftsfit machen (eyebizz 1.2025)
Teil 2: Schritte zum unverwechselbaren AO-Geschäft (eyebizz 2.2025)
Teil 3: Wie wird aus einer Idee ein Erlebnis? (eyebizz 3.2025)
Teil 4: Haltung ist gut fürs Geschäft (eyebizz 4.2025)
Teil 6 (Schluss): Wenn deine Brillenkollektion zum Statement wird (eyebizz 6.2025)