Anzeige
Anzeige
Interview mit dem Shopdesign-Experten

Peter Ippolito: Verkaufe ich Produkte oder eine Welt?

Wie können sich Augenoptiker*innen im Ladendesign zeitgemäß aufstellen? Warum verdient Gentle Monster zu Recht Aufsehen? Und wie geben leerstehende Kaufhäuser Innenstädten neue Impulse? Das verrät Peter Ippolito, geschäftsführender Gesellschafter des international tätigen Designstudios Ippolito Fleitz Group, im Gespräch mit eyebizz-Chefredakteur Jürgen Bräunlein in Berlin.

Peter Ippolito von der Ippolito Fleitz Group
Peter Ippolito, geschäftsführender Gesellschafter des international tätigen Designstudios Ippolito Fleitz Group, im Gespräch mit eyebizz-Chefredakteur Jürgen Bräunlein

eyebizz: Herr Ippolito, im Flagship-Store von Edel-Optics in Hamburg können sich Kunden von einem Roboter bedienen lassen. Haben Sie schon Stores mit Robotern entworfen?

Anzeige

Peter Ippolito: Nein, bislang noch nicht.

Welche Konsequenzen hat die Digitalisierung grundsätzlich für das Storedesign im Retail?

Zum klassischen physischen Einzelhandel ist der Online-Handel mit den damit verbundenen Kanälen wie Instagram und Co dazugekommen. Wir haben einen aufgeklärten Konsumenten, der sich wahnsinnig gut vorab informieren kann. Er hat mannigfaltige Möglichkeiten, sein Produkt auch online zu bekommen.

Edel Optics Roboter
Im Flagship-Store von Edel-Optics in Hamburg hilft neuerdings ein Roboter bei der Brillenauswahl (Foto: Joseph Heicks/Edel-Optics)

Damit stellt sich die Frage: Was mache ich im Laden? Warum gehe ich dorthin? Es geht darum, etwas zu erfahren, was ich online nicht erlebe. Das große Wort heißt Experience. Was kann der Touchpoint sein, der diesen physischen Moment ausmacht, jenseits der Produkte, die ich sehe? Eine Antwort kann sein, auf Robotik zu setzen. Ob das aber zukunftsweisend ist, bezweifele ich. Denn wenn mich ein Roboter bedient, habe ich dieselbe digitale automatisierte Interaktion, wie ich sie kenne, wenn ich online bin.

Der Einzelhandel muss sich in der aktuellen Umwälzungssituation aber neu definieren: Was biete ich an, was die Menschen von den Computern weglockt, um in die Innenstadt oder wohin auch immer zu gehen? Das hat mit Kontext zu tun: Wo befindet sich der Laden? Komme ich gut dorthin? Gibt es darüber hinaus einen größeren Grund, meine Zeit dort zu verbringen? Die andere wichtige Frage ist: Was kann das Angebot, das digital schon da ist? Entscheidend wird immer sein: Was kann ich darüber hinaus anbieten? Die einfachste Antwort: Ich kann‘s anfassen.

Gibt es andere, neuere Antworten?

Hier hat sich in den letzten Jahren tatsächlich etwas verschoben. Verstärkt wird darüber nachgedacht: Gibt es ein größeres Thema? Verkaufe ich Produkte oder verkaufe ich eine Welt, eine Idee? Nehmen Sie das klassische Hausratsgeschäft. Das braucht heute kein Mensch mehr, weil es Töpfe verkauft. Aber Sie müssen Kochen verkaufen. Kochen als Erlebnis. Wenn ich durch solche Läden gehe, die wie vor 35 Jahren ausschauen, ist das romantisch, aber es erzählt nichts davon, was die Leute heute suchen.


„Je digitaler die Welt wird, desto mehr gibt es eine Sehnsucht nach dem Analogen. In diesem Spiel positioniert sich heute eine Marke.“


Aber es geht immer auch um eine Balance: Je digitaler die Welt wird, desto mehr gibt es eine Sehnsucht nach dem Analogen. Je mehr virtuell wir unterwegs sind, desto mehr sehnen wir uns nach Nähe. Je mehr beschleunigt und urban wir leben, desto mehr wollen wir Natur und Gesundheit. In diesem Spiel positioniert sich heute eine Marke.

Haben Sie Best-Practice-Beispiele aus der eyewear?

Ja. J!ns und Gentle Monster, beides Brillenmarken aus Asien. Bei Gentle Monster geht der Konsument in den Store und versteht erst einmal gar nicht, um was es geht, weil er keine Brillen sieht. Doch es sind spektakuläre Installationen, die für Gesprächsstoff sorgen. In Seoul hat Gentle Monster einen Laden in einem alten Waschhaus. Der Architekt baute Projektionen und Maschinen ein, die die Idee des Waschhauses aufnehmen. Bei Gentle Monster bekommt so jeder Laden ein eigenes Thema. Damit wird das klassische Retail-Konzept – Präsentation von Produkten – in einem Ort transzendiert, in dem eine Idee verhandelt wird: „Wer bin ich? Wie verorte ich mich in der Welt?“

J!ns Store Shanghai
Schlichter, weißer Beton und sonst nur Brillen: Store des japanischen Brillenherstellers J!ns in Shanghai (Foto: Eiichi Kano)

Zudem wird deutlich: Es geht nicht um Brillen als Sehkorrektur, sondern um Schönheit als Teil von Fashion. Das haben viele deutsche Augenoptiker*innen noch nicht verstanden. Es geht um Style-Statements und die existentielle Frage nach Purpose – „Sinnhaftigkeit“. Die Resonanz ist riesig: Wenn Sie in Shanghai zu Gentle Monster gehen, stehen 150 Menschen vor dem Laden Schlange.

Und die japanische Marke J!ns, die – anders als Gentle Monster – vom Preissegment her im Low End-Bereich liegt?

J!ns inszeniert die Stores mit wirkungsvoller Architektur: Der Kunde sieht hundert Brillen auf einem langen Tisch. Das ist das serielle Prinzip, auch das schafft starke Bilder und hat Erfolg. Ein ähnliches Konzept verfolgt die australische Parfummarke Aesop. Jeder ihrer Läden weltweit wird von einem lokalen Architekten entworfen und sieht individuell aus. Die einzige Klammer aller Geschäfte ist die Serialität der schwarzen Aesop-Parfumflaschen in den Regalen.

Man hat den Eindruck, aus Asien kommt derzeit viel aufregenderes Shopdesign als aus Europa. Warum ist das so?

Wenn Sie sich heute die internationale Designszene mit ihren zahllosen Auszeichnungen ansehen, dann gehen nicht nur im Bereich Interieur 60 bis 70 Prozent aller globaler Awards nach China. Asien möchte Wohlstand gewinnen. Und da gibt es eine hohe kreative Energie, Dinge ganz schnell auszuprobieren, um zu sehen, was sie für einen taugen. Dazu kommt eine andere Denkkultur. Asiaten denken in kleinen Wegen und probieren auf dem Weg dorthin viel mehr aus. Wir im Westen sind zielfixiert und versuchen, den möglichst effizienten Weg dorthin zu schaffen. Der chinesische Kunde wird in der Zeit, in der wir ein Konzept diskutieren, fünf bauen, fünf verwerfen, aber viel dabei lernen.

Kering Eyewear Shop Peking
In Pekings Shoppingmekka Sanlitun kreierten Peter Ippolito und sein Team für Kering Eyewear einen Shop, bei dem jede Brille wie eine elegante Skulptur erscheint (Foto: Sui Sicong)

Auf dem chinesischen Markt gibt es derzeit zudem enorm große wohlhabende nationale Player. Die nehmen sich westliche Marken als Vorbild und wollen im nächsten Schritt den globalen Markt erobern. Bolon ist das führende Brillenlabel Chinas, in rund 50 Ländern präsent, auch wenn man das in Deutschland nicht so weiß, und gehört mittlerweile zu Essilor.

Wie kann sich ein mittelständischer Augenoptiker in Shopdesign zeitgemäß aufstellen?

Der Augenoptiker und Juwelier Hunke in Ludwigsburg, ein familiengeführtes alteingesessenes Haus am Platz, das wir betreut haben, ist ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann. Der Ladenumbau bei Hunke war nicht bestimmt von Trends, sondern von der Idee der Generationennachfolge. Das ist Freiheit und Verpflichtung sich selbst, der Familie und der Kundschaft gegenüber. Aus drei in die Jahre gekommenen Bestandsgebäuden in Familienbesitz konzipierten wir ein zukunftsfähiges Ladengeschäft, dass auch die Geschichte vor Ort miteinwebt. Das ergibt eine glaubwürdige Positionierung als erstes Haus am Platz, was natürlich einhergehen muss mit Top-Beratung und einem frisch bleibenden Produktsortiment. Auch Vertrauen ist hier ein wichtiges Thema.

Hunke Optik Ludwigsburg
In Ludwigsburg sorgte die Ippolito Fleitz Group für beeindruckende Innenarchitektur für das alteingesessene Familienunternehmen Hunke (Foto: Zooey Braun)

Doch es gibt keine allgemeinen Rezepte. Wenn ich in Berlin mit einer innovativen Kollektion auf den Markt gehen will, brauche ich einen Avantgarde-Kontext und muss anders agieren, um meine Zielgruppe zu erreichen.

Welche Bedeutung hat die modulare Bauweise für den Ladenbau? In Zeiten zunehmender Flexibilität sicherlich eine große?

Ja, doch der Unterschied ist: Vor zehn Jahren fanden es alle toll, wenn es modular war. Doch wir leben mehr denn je in einer Welt, die von der Sehnsucht nach Differenzierung und Individualität getrieben wird. Heute muss es modular sein, aber keiner will es mehr sehen. Denn kein Mensch will austauschbar sein, und die Räume, in denen wir uns bewegen, sollen es auch nicht. Ich erinnere mich noch: Vor zwanzig Jahren war es schick, wenn ich in Frankfurt in eine Bauherrenbesprechung gegangen bin, und wir saßen im Starbucks. Am nächsten Tag bin ich nach Shanghai geflogen, und wir hatten dort ein Meeting in einer nahezu identischen Umgebung in einem chinesischen Starbucks. Heute gibt es nichts Abtörnenderes.


„Heute muss es modular sein, aber keiner will es mehr sehen.“


Schalten wir unser iPhone ein, ist sofort eine neue Welt im Bild, die wir auch schnell wieder wechseln können. An diese Instant-Satisfaktion haben wir uns durch die Digitalisierung gewöhnt. Reale Räume können da nicht mithalten, aber sie dürfen eben nicht nur Dekoration sein. Das ist eine Herausforderung für Architekten. Wir müssen es schaffen, dass wir die Räume nicht grundsätzlich verändern müssen, und der Kunde trotzdem das Gefühl hat, ständig etwas Neues zu entdecken.

Wie kann das gelingen?

Vor gut zwanzig Jahren entwarfen wir für einen Kunden einen Schuhladen in Stuttgart. Den gibt es immer noch in exakt derselben Geometrie, doch wir haben seitdem vier oder fünfmal die Oberflächen gewechselt, entweder mit einem neuen Anstrich oder einer anderen Verkleidung, und so jedes Mal ein neues Kundenerlebnis erreicht. Wir haben den Laden so gebaut, dass eine solche Veränderung mit minimalem Aufwand (Budget, Materialeinsatz) möglich ist. Schließlich muss man sich manchmal anpassen. Farbtöne etwa ändern sich. Doch das ist die große Herausforderung: Wie können wir veränderbar bauen, und trotzdem sieht es nicht austauschbar aus? Wenn ich es nach zwei Jahren wieder herausreiße, wird es nie nachhaltig sein. Wenn ich ein Restaurant habe und alle Sitzmöglichkeiten sind fest eingebaut, kann ich nichts ändern. Wenn ich frei möbliere, kann ich bei Bedarf ein Drittel der Sitzplätze herausnehmen und die Kunden mehr auf Distanz platzieren.

Seit Jahren debattiert, im Zuge der Lockdowns wieder: Welche Zukunft haben die Innenstädte?

Ich halte die Innenstädte immer noch für attraktive Orte, auch wenn durch die Zunahme des Immergleichen das Leben in den klassischen Einkaufslagen langweilig geworden ist. Ich glaube aber, dass in dem Wandel, den wir sehen, eine Chance liegt, weil sich neue Fragen stellen: Ist die Fußgängerzone tatsächlich das Maß der Dinge? Will ich Natur in die Stadt hereinholen? In meiner Kindheit wurde die Straßenbahn abgeschafft, heute freuen sich die Menschen, wenn eine durch die Stadt fährt, weil es Lebendigkeit bringt und nicht alles im Untergrund geschieht.

Bolon Eyewear Shop Shanghai
Neues Storedesign für Bolon Eyewear, Chinas bekanntester Sonnenbrillenmarke, hier in Shanghai von Ippolito Fleitz Group (Foto: Shuhe Architectual Photography)

Innenstädte müssen lebendiger, vielfältiger werden, Flächen und Gebäude bereitstellen, die sich verändern lassen, hybride Nutzungen zulassen. Nehmen wir die Schließung vieler Kaufhäuser. Da stehen nun vielfach Top-Immobilien leer mit hohen Räumen und beeindruckenden Tiefen. Das sind unheimlich tolle Orte mit großem Potenzial. Wir haben vor zwei Jahren in einem ehemaligen Kaufhaus in Shanghai Coworking Spaces installiert, das könnte man gar nicht besser dafür bauen. So entstehen wieder andere Zentren. Eine innerstädtische Mall kann eine Chance sein, nur muss sie sich zur Stadt hin öffnen, darf nicht abgeschlossen sein. Auch das kann ein sinnvoller Verdichtungspunkt sein. Verdichtung ist immer gut. Denn dort, wo ich Dinge gut verdichte, kommen Menschen gerne hin.

Zum Schluss noch eine Frage zur Nachhaltigkeit. Wie wichtig ist sie für den zukünftigen Ladenbau?

Das Thema wird das Bauen grundsätzlich verändern. Die Bauindustrie ist verantwortlich für 40 Prozent aller CO2-Emissionen. Zement ist eines der größten Treiber für CO2-Emission. In der Innenarchitektur haben wir weniger Beton, doch nachhaltige Materialien sind ein großes Thema und Kreislaufwirtschaft. Doch wir können das nicht allein von der Architektur her lösen. Wir sind auf die Hersteller angewiesen. Ein Umdenken ist entscheidend: Wir denken nicht mehr in Themen des Verbrauchens, sondern wir kaufen die Nutzungszeit. Das Material ist immer gleich viel wert.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ippolito!

/// Das Interview führte Jürgen Bräunlein

 

 

Peter Ippolito studierte Architektur in Stuttgart und Chicago, gründete 2002 gemeinsam mit Gunter Fleitz die Ippolito Fleitz Group. International bekannt wurde das vielfach ausgezeichnete, multidisziplinäre Designstudio mit Innenarchitektur-, Kommunikations- und Produktdesignprojekten, darunter Storedesigns für Augenoptiker*innen und Eyewear Brands wie Kering Eyewear oder Bolon. 2015 wurden Peter Ippolito und Gunter Fleitz als die ersten deutschen Gestalter aus dem Bereich Innenarchitektur in die „Interior Design Hall of Fame“ aufgenommen. Peter Ippolito, der auch in der Lehre tätig war, wird häufig als Referent oder Mitglied von Wettbewerbsjurys angefragt.

 

Artikel aus der eyebizz 6.2021 (Oktober/November)

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.