Optovision: Reorganisation hält nichts von Made in Germany
von Ingo Rütten,
„Reorganisation“, das hatten wir bereits im Herbst 2024 gehört. Rodenstock verkündete damals einen Transformationsprozess, der die Fertigung von Brillengläsern vom Standort Regen aus ins benachbarte Ausland nach Klattau zur Folge hatte. Ende Februar dieses Jahres war der Umzug der Produktion nach Tschechien vollzogen, Regen war spätestens ab diesem Zeitpunkt das „reine Engineering Center“, das es mit Blick auf die „Reorganisation“ zukünftig sein soll. Nahezu zeitgleich mit dem vollendeten Umzug wurde in Langen die Belegschaft von Optovision eingeweiht, dass auch sie bald nicht mehr produzieren werde und der Standort in Hessen ein „Kompetenzzentrum“ werden solle. Auch das sei ein Teil der Reorganisation „eines umfassenden strategischen Transformationsprozesses“. Made in Germany war also einmal, zumindest was Rodenstock und Optovision betrifft. Dass allein in Langen gut 230 Menschen ihren Job verlieren, ist dabei ein bedeutendes, aber nur ein Kapitel dieser Story.
Ungewollt doppeldeutig kommt die Überschrift auf der Optovision-Website derzeit daher. Eigentlich wird damit die WIDR-Technologie der Brillengläser beworben, die demnächst in Tschechien produziert werden. (Bild: Screenshot)
Verlässlicher Flurfunk bei Optovision kann Ende der Produktion in Langen auch nicht verhindern
Im Herbst vergangenen Jahres schrillten wieder die Alarmglocken bei Optovision, wenngleich nur via Flurfunk, denn offiziell gab es keine Verlautbarungen zu den Gerüchten, die bereits seit Anfang 2023 in der Belegschaft diskutiert wurden. Spätestens mit dem neuen Geschäftsführer Christian Bannert und der geänderten Kommunikation, in der Made in Germany keine Rolle mehr spielt, sondern „German Engineering“ daraus wurde, waren die Vorzeichen gesetzt. Mehr als vier Jahrzehnte posaunte Optovision sein Made in Germany heraus – doch mit Bannert und dem Relaunch der Unternehmens-Website war das Geschichte.
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Glaubt man den Worten von Kerstin Sburlea, dann wäre Bannert nicht viel mehr als ein Erfüllungsgehilfe, jedenfalls nicht verantwortlich dafür, dass in Langen demnächst nur noch die Verwaltung von Optovision mit 130 Leuten an einem neuen, kleineren Standort sitzt. „Wir hätten Verständnis, wenn es eine wirtschaftliche Notwendigkeit gäbe, wir in Schieflage geraten wären. Aber wir glauben, die Braut wird hübsch gemacht“, sagt die Betriebsratsvorsitzende von Optovision im Gespräch mit eyebizz. Soll also heißen: Das alles ist getriggert durch den Investor Apax, der die Rodenstock Gruppe für den Verkauf klarmacht, was zumindest die Frage Sburleas beantworten würde: „Wo ist die Verantwortung des Arbeitgebers für den Standort Deutschland?“
Etwa 500 Menschen haben in Regen und Langen ihren Arbeitsplatz verloren, wenn die „Reorganisation“ mit dem Produktionsende in Langen fortgeschritten ist. Für die Betroffenen in Hessen soll es eine „aktive Unterstützung und Beratung“ geben, doch wie sieht die aus? Alexander de Vries, Head of Marketing & Communication, antwortet auf unsere Nachfrage: „Es ist unser oberstes Ziel, den Stellenabbau so sozialverträglich, transparent und fair wie möglich zu gestalten. Daher arbeiten wir intensiv an individuellen Lösungen und Unterstützungsangeboten für die betroffenen Mitarbeitenden. Die Geschäftsführung führt derzeit konstruktive Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern, um einen fairen Interessenausgleich und Sozialplan zu gestalten. Konkrete Aussagen zur geplanten Verlagerung der Produktion sind erst nach Abschluss dieser Verhandlungen möglich. Unser Fokus liegt darauf, eine zukunftssichere Lösung zu finden, die die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Rodenstock Gruppe gewährleistet.“
Fundierte Marktanalyse im Herbst 2022
eyebizz hat den Optovision-Sprecher auch danach gefragt, warum bereits im Herbst 2023 die Kommunikation geändert wurde. De Vries: „Wir haben bereits im Jahr 2022 eine fundierte Marktanalyse vorgenommen, um die Marke Optovision zu schärfen und die Services für unsere Kunden weiter zu optimieren. Wir haben herausgearbeitet, was Optovision aus Kundensicht ausmacht und was wir tun können, um unsere Kunden noch besser zu unterstützen. Das Ergebnis war, dass einerseits der Innovationsaspekt bei Optovision noch stärker in den Vordergrund treten muss, in Verbindung mit den gewohnt hohen Qualitätsstandards unserer Produkte und Services. Daraus wurde der Claim „Engineered in Germany“ entwickelt, der in einem Marken-Relaunch im Herbst 2023, gleichzeitig mit der Einführung einer neuen Produkttechnologie, präsentiert wurde.“
Schwachstelle in der Kommunikation
Der Belegschaft sei damals mitgeteilt worden, dass die Augenoptiker keinen Wert auf Made in Germany legten, erklärt die Betriebsratsvorsitzende. Nicht die einzige Schwachstelle in der Kommunikation – zumindest zwischen Führungsebene und Betriebsrat. Letzterer wurde nahezu zeitgleich mit dem letzten Umzugswagen, der von Regen Richtung Tschechien unterwegs war, am 27. Februar vormittags um 12 Uhr von den Plänen unterrichtet – die Einladung zu dieser kurzfristigen Versammlung kam einen Tag zuvor. Für die Verkündung der Hiobsbotschaft für die Belegschaft reichten dann per Hand gestoppte 17 Minuten – einmal um 14 Uhr und noch ein zweites Mal für die bereits – mal wieder – über den Flurfunk informierte Nachschicht um 21.45 Uhr.
Dass Verdi gemeinsam mit dem Betriebsrat seit Wochen ein Gegenkonzept aufstellt, außerdem Anwälte und Beratungsinstitute beauftragt sind, gehört zu den Maßnahmen, einen solchen Stellenabbau nicht widerstandslos hinzunehmen. Sburlea weiß den Erfolg dieses Gegenwindes einzuschätzen, „doch wer nicht kämpft, hat schon verloren. In der Belegschaft herrscht Frust pur, sie haben auch die Abläufe und Ereignisse bei der Mutter in Regen vor Augen“, und wüssten damit, wo die soziale Verantwortung des Arbeitgebers gegenüber seiner Belegschaft und der Region endet.
Bleibt die Frage, warum Optovision am Standort Deutschland in Zukunft nicht weiter konkurrenzfähig bleiben kann, was unterscheidet die Rodenstock-Tochter hier von anderen Herstellern, die in Deutschland produzieren? „Der Volumen-Rückgang in der Roden-stock Gruppe erfordert eine interne Konsolidierung der Produktions-Kapazitäten. Aufgrund der herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Standorts Deutschland führt eine Produktion in Langen zu deutlich höheren Kosten jährlich als in den anderen Werken. Aus diesem Grund werden die Produktionsvolumina neu verteilt“, antwortet de Vries darauf. Eine Antwort, die so ähnlich bereits in der offiziellen Pressemitteilung vom 27.2. zu lesen ist. Damals hieß es: In Anbetracht des zunehmenden Wettbewerbs, steigender Produktionskosten und rückläufiger Stückzahlen, ergreife die Rodenstock Gruppe nun weitere Maßnahmen, um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
„Kunden nur traditionelle Augenoptiker“
Seit 1998 gehört Optovision zur Rodenstock Gruppe. Ein großer Unterschied zur Mutter liege darin, „dass unsere Kunden primär nur traditionelle Augenoptiker sind“, sagt Sburlea. Deswegen sei sie derzeit nicht nur entsetzt, sondern auch gespannt auf den Herbst, wenn die Verträge fürs neue Jahr gemacht würden. „Wenn wir nicht mehr in Deutschland produzieren, sondern anderswo billiger, stellt sich für den Augenoptiker gewiss auch die Frage nach dem Preis fürs Brillenglas. Schon jetzt sei das Feedback der Kunden eindeutig, „sie sind maßlos enttäuscht, und es gibt nicht wenige, die überlegen, ob Optovision noch der richtige Partner für sie ist.“
Das alles dürfte für den Investor Apax, die Verantwortlichen bei Rodenstock und jenen beim Optovision kaum überraschend kommen. Ein umfassender strategischer Transformationsprozesses hat seine Schattenseiten, und somit steht rund 230 Menschen in Langen eine Reorganisation in eigener Sache bevor. Die Belegschaft habe ein recht hohes Durchschnittsalter, erklärt die Betriebsrätin, „darunter viele Ehepaare und Kolleginnen oder Kollegen, die seit drei oder gar vier Jahrzehnten bei uns sind“. Das sei schlicht eine mangelhafte soziale Verantwortung des Arbeitgebers gegenüber der Belegschaft.
Nicht besser, aber leichter zu erklären wäre das alles damit, wenn der Flurfunk auch in seiner Annahme Recht behielte, dass es letztlich nur um Profitmaximierung geht. Angeblich habe es noch vor den Änderungen in Regen einen interessierten Käufer für Rodenstock gegeben! Der derzeitige Investor habe aber vor einigen Monaten noch kein Verkaufsinteresse gezeigt. Apax ist 2021 eingestiegen und als Private-Equity-Investor darauf spezialisiert, Kapital zu sammeln. In der Regel verkauft ein solcher Investor wieder nach etwa vier bis sechs Jahren: wenn mit dem Unternehmen eine ausreichende Rendite erwirtschaftet wurde!
/// IR
Sinnvoll, die Produktion ins Ausland zu verlagern!
Natürlich haben wir auch in München nachgefragt, warum der Standort Deutschland für einen Brillenglashersteller wie Rodenstock samt Tochter Optovision nicht mehr attraktiv genug ist. Thomas Pfanner stand eyebizz dazu als General Manager für Deutschland und Österreich bei Rodenstock gerne zur Verfügung und stellt in seinem Statement quasi die Gegenfrage: „Warum macht es für die Industrie Sinn, die Produktion ins Ausland zu verlagern?“
Thomas Pfanner ist Rodenstocks General Manager für Deutschland und Österreich (Bild: Rodenstock, Credits: Bert Willer)
„Produzierende Unternehmen stehen in Deutschland aktuell vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die mit nicht optimalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und neuen Marktgegebenheiten einhergehen. Es wäre viel zu einfach und zu kurz gegriffen, unternehmerische Entscheidungen über eine Verlagerung von Produktionsstandorten rein als Gewinnmaximierung abzutun.
Gerade in unserem Geschäftsfeld sehen wir uns mit einer mehrfachen Herausforderung konfrontiert: Erstens findet eine vermehrte Konsolidierung statt, das heißt Optikerketten und Einkaufsgruppen gewinnen Marktanteile, indem sie zum Beispiel Optiker aufkaufen, wenn diese in den Ruhestand gehen. Zweitens intensiviert sich der Wettbewerb, was eine ständige Effizienzsteigerung, Flexibilisierung und technische Weiterentwicklung auf unserer Seite erforderlich macht.
Drittens erfordert es der deutlich steigende Kosten- und Margendruck, bestehende Produktionsstandorte, wie unser Werk in Klattau, Tschechien, effizient zu optimieren und sinnvoll auszulasten. Nur so ist es heute noch möglich, kosteneffizient bei unverändert hervorragender Qualität zu produzieren, um auch die Preise für unsere Kunden stabil halten zu können.
Dennoch ist es wichtig sich klarzumachen, wo eigentlich unsere Wertschöpfungskette beginnt und wie sie verläuft. Mit unserer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung in München und unserem Engineering Center in Regen liegen unsere Innovationskraft und unser Know-how klar in Deutschland. Denn hier entstehen unsere einzigartigen, innovativen Produkte – von der Forschung, über die Entwicklung bis hin zur Marktreife. Dies macht uns zu dem bedeutenden Brillenglasexperten für biometrische Brillengläser.“