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Marke aus Barcelona

Biel Glasses: Smarte Sehhilfe für Low-Vision-Patienten

Jaume Puig und Constanza Lucero aus Mataró bei Barcelona (Spanien) sind die Eltern von Biel, einem Jungen, der mit einer angeborenen Sehbehinderung zur Welt gekommen ist. „Als unser Sohn anfing zu laufen, merkten wir, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er brauchte lange, bis er lief, und fiel dabei ständig hin. Auch beim Treppensteigen verhielt sich Biel seltsam, hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest oder lief auf allen Vieren“, erzählt der Vater. Nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt war den Eltern schließlich klar, dass es keine Hoffnung auf Heilung gibt.

Biel Glasses Team
Das Führungsteam von Biel Glasses: unten von rechts Jaume Puig, CEO, und dessen Frau Dr. Contanza Lucero. Oben rechts die Optometristin Dr. Elena Sanchez und Jordi Puig, CTO. (© Biel Glasses)

Wir wissen: Low Vision steht für „niedriges Sehen“ und wird meist von angeborenen oder erworbenen, aber auch systemischen Augenerkrankungen wie Glaukom, Makula-Degeneration, diabetischer Retinopathie oder Retinitis Pigmentosa hervorgerufen. Die Symptome reichen von verminderter Sehschärfe bis hin zu visuellen Dysfunktionen wie einem reduzierten Kontrastsehen, einem eingeschränkten peripheren Gesichtsfeld oder einer unzureichenden Farbwahrnehmung. Weder Brillen noch Kontaktlinsen können Abhilfe schaffen. Lediglich optisch oder elektronisch vergrößernde Sehgeräte helfen beim Lesen und bei manuellen Arbeiten.

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Bei Biel hatte die angeborene Krankheit eine starke Beeinträchtigung seines seitlichen und unteren Gesichtsfelds zur Folge. So stieß der Heranwachsende bei seinen täglichen Aktivitäten ständig auf Hindernisse, stolperte und stürzte bisweilen sogar. Verletzungen waren die Folge, und Streifzüge auf eigene Faust durch den Asphalt-Dschungel der Stadt wurden stets zum riskanten Parcourlauf.

Biel Glasses: die Idee

Biels Eltern wollten sich nicht damit abfinden, dass ihr Sohn zunehmend an Lebensqualität und Selbstständigkeit einbüßen und auf fremde Hilfe angewiesen sein sollte: Sie waren entschlossen alles daran zu setzen, um eine technische Lösung zu finden. Und so holten sich Jaume Puig, selbst ein auf den Gebieten Künstliche Intelligenz, Robotik sowie Augmented und Virtual Reality erfahrener Elektronikingenieur, und Constanza Lucero, eine in der klinischen Forschung erfahrene Ärztin, die promovierte Optometristin und in Spanien führende Low-Vision-Spezialistin Eulalia Sanchez ins Boot, um 2017 das nach ihrem Sohn benannte Start-up Biel Glasses zu gründen.

Das war der Startschuss für die Entwicklung der intelligenten Brille BIEL Smartgaze. „Diese Teamkonstellation war wie eine kosmische Fügung. Wir haben wirklich bei null angefangen und waren völlig auf uns allein gestellt. Der Anfang war echt hart. Unser Hauptantrieb war natürlich unser Sohn, doch wir erkannten schnell, dass viele Menschen mit anderen Pathologien, die ähnliche Mobilitätsprobleme zur Folge haben, von einem solchen Gerät profitieren würden. Das gab dem ganzen Projekt eine völlig neue Dimension“, erzählt Puig.

Für den Vater lag die Lösung in Augmented Reality kombiniert mit 3D-Vision, also fuhr er 2015 kurzerhand zum Internationalen 3D-Vision-Kongress nach Lyon, um dort die Meinung von Experten einzuholen. Die fanden die Idee zwar machbar, aber hielten sie zu jenem Zeitpunkt technisch für unmöglich, denn das enorme, in Echtzeit zu analysierende Datenvolumen könne in keinen tragbaren Computer passen. „Aber die Patienten müssen den Computer ja bei sich tragen“, berichtet Puig.

Biel Glasses Biel
Biel Puig bewegt sich mit BIEL Smartgaze selbstständig und sicher durch die Stadt. (© Biel Glasses)

2017 kam der Durchbruch, als die US-amerikanische Firma Nvidia die erste passende Hardware auf den Markt brachte, die in einen Rucksack passte. Schon ein Jahr darauf konnte ein Prototyp der smarten Brille in einer ersten Demo erfolgreich vorgestellt werden: Die Biel Smartgaze erkennt mittels Kameras und Sensoren die Umgebung mit Hindernissen wie Schildern, Bäumen und sogar Veränderungen des Untergrunds wie Stufen oder Löcher. Mit Hilfe von Mixed-Reality wird dieses Bild an die Restsehkraft der Patienten angepasst. Ähnlich eines immersiven und interaktiven Erlebnisses werden die Nutzer mittels graphischer Zeichen wie Pfeile auf Hindernisse aufmerksam gemacht und können so selbstständig und sicher navigieren.

Erkennen positiver und negativer Hindernisse

Das Gerät verfügt über zusätzliche Funktionen wie akustische Signale, die Anpassung an Lichtverhältnisse, Kontrastverstärkung bis hin zu Zoom-Funktionen, die das Erkennen positiver und negativer Hindernisse zusätzlich unterstützen. Die smarte Brille kann so auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten eingestellt und ihre Restsehkraft optimal genutzt werden. Zum Nutzerset gehören die Brille und ein kleiner Computer, der entweder an einem Hüftgürtel oder in einer kleinen Umhängetasche Platz findet. Beide Elemente sind mit einem Kabel verbunden, weil eine kabellose Bluetooth-Verbindung für die Signalübertragung in Echtzeit aufgrund des Datenvolumens nicht schnell genug ist.

Medizinprodukt der Klasse I

2021 erhielt Biel Smartgaze nach der europäischen Verordnung über Medizinprodukte (MDR) die Zulassung als Medizinprodukt der Klasse I und damit die CE-Kennzeichnung, eine Grundvoraussetzung, um das Gerät in Europa vermarkten zu können. Außerdem können Betroffene unter Umständen dadurch von den gesetzlichen Krankenversicherungen Kosten erstattet bekommen. 2023 bekam Biel Glasses schließlich Mittel in Höhe von drei Millionen Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds Next Generation EU – so konnte die Forschungs- und Entwicklungsarbeit für die Marktreife weitergehen.

Der letzte von vier Pilotversuchen unter der wissenschaftlichen Leitung der Fachhochschule für Augenoptik und Optometrie der Polytechnischen Universität von Katalonien (UPC) dauerte eineinhalb Jahre und wurde mit dreißig freiwilligen Patienten durchgeführt. Daraus resultierten wichtige Erkenntnisse, für welche Patienten sich das Gerät am besten eignet und wie wichtig die korrekte Einweisung für eine zufriedenstellende Nutzung ist. Puig: „Die meisten Low-Vision-Patienten haben ja seit Jahren immer nur auf den Boden geschaut und müssen sich am Anfang erst an den Umgang mit dem Gerät gewöhnen und dazu Vertrauen haben.“

Kein „One Size Fits It All“

Auch das subjektive Empfinden spielt beim Sehvermögen eine wichtige Rolle. So erleben zwei Menschen mit ein und derselben Sehbehinderung diese sehr unterschiedlich. „Nehmen wir zum Beispiel zwei Patienten mit etwa fünf Prozent Restsehkraft. Es ist durchaus möglich, dass einer der beiden gar nicht mehr aus dem Haus geht, wohingegen der andere sogar noch Auto fährt. Im Grunde sehen wir ja nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn“, erläutert Puig. „Das Gehirn geht bei jedem Patienten anders mit der Restsehkraft um. Es versucht, sich ständig an die von den Augen übertragene Information anzupassen. Bei älteren Menschen kommen zu den visuellen häufig auch kognitive Probleme hinzu. Es gibt also keine klare und eindeutige Indikation, sondern die Symptome sind vielfältig und jeder Patient muss die Smartgaze-Brille erst ausprobieren, um sicher zu gehen, dass diese für ihn geeignet ist.“ Es scheint so, als profitieren Betroffene mit Retinosis und Glaukom eher von dem Gerät als solche mit einer Makula-Degeneration.

Soft Launch und Produktion mit Crowdfunding

Die für dieses Frühjahr vorgesehene Markteinführung von BIEL Smartgaze ist für Low-Vision-Patienten zwar ein Quantensprung, wird aber dennoch als Soft Launch erfolgen. „In einer ersten Phase werden wir Smartgaze über einige ausgewählte Augenoptiker vertreiben, die auf Low Vision spezialisiert sind. Sie werden eine gründliche Ausbildung erhalten, denn die Begleitung der Patienten ist von großer Bedeutung. Deshalb wollen wir zunächst mit 300 bis 400 Stück anfangen. Es geht darum, den Patienten ein zufriedenstellendes Nutzererlebnis zu bieten. Da sich das Sehvermögen auch auf die Psyche auswirkt, ist es wichtig, keine falschen Versprechungen zu machen.“ Außerdem gibt es noch keine Vertriebsstruktur, der Markteinstieg erfolgt deswegen zunächst in Spanien, wo auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet wurde, mit deren erzielten Mitteln dieses Jahr in Katalonien die ersten Smartgaze-Brillen hergestellt werden sollen.

/// Barbara Jäger

 

www.bielglasses.com

 


Funktionen der Biel Smartgaze im Überblick:

  • Direktübertragung der Umgebung in Echtzeit
  • Dynamische Anpassung an die Lichtverhältnisse (Tag/Nacht)
  • Priorität bei der Anzeige besonders risikoreicher Hindernisse
  • Permanente Hinweise ohne Informationsüberflutung
  • Doppelte Zoomfunktion für Bildvergrößerung sowie Bildverkleinerung zur Blickfeld-Erweiterung
  • Anpassung von Helligkeit und Kontrast zum leichten Erkennen von Objekten und klarer Sicht in schwach beleuchteter oder heller Umgebung
  • Zusätzliche akustische Signale
  • Alle Funktionen und Anzeigen lassen sich auf die individuellen Bedürfnisse jedes Patienten einstellen und anpassen

 

Artikel aus der eyebizz 3.2025 (Mai/Juni)

 

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