Was hat die Evolutions-Geschichte der Menschheit mit Brillen zu tun? Eine ganze Menge – meint zumindest Xavier García, Gründer und CEO des gleichnamigen Brillen-Labels aus Barcelona. Die neue Kollektion „Sapiens“ ist ein Konzept, das fernab von Trends die Verbindung zwischen Design und menschlicher Evolution erforscht.
Schon als Kind faszinierten den Designer die Paläontologie und die Herangehensweise, wie Wissenschaftler und Forscher die menschliche Evolution rekonstruieren und unsere Ahnenreihe zurückverfolgen. „Ich finde es beeindruckend, wie sich mit einem einzigen Knochenstück die Ursprünge, Geschichte und Gewohnheiten der frühen Menschen und ihr Platz im Evolutionsbaum der Menschheitsgeschichte bestimmen lassen“, begeistert sich García.
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Zu seinen Inspirationsquellen gehören aber auch Fachliteratur und Romane, wie der Bestseller „Ayla und der Clan des Bären” der amerikanischen Schriftstellerin Jean M. Auel: „Der Roman spielt in der späten Altsteinzeit vor etwa 30.000 Jahren in Europa, als Neandertaler und moderne Homo sapiens zeitgleich existierten; die Geschichte hat mich total gefesselt.” Und je länger er sich mit dem Thema beschäftigte, desto öfter drängte sich ihm die Frage auf, wie sich die Form der Augenhöhlen im Laufe der Evolutions-Geschichte verändert hat. „Welche Unterschiede es beispielsweise zwischen den Augenhöhlen eines Australopithecus und eines Neandertalers oder zwischen einem Homo erectus und Homo habilis gibt“, erklärt Xavier García.
So begann er mit seinem Team einen kreativen Prozess, an dessen Anfang die eingehende Analyse von Schädelstrukturen und Augenhöhlen-Konturen frühzeitlicher Menschenarten und unserer unmittelbaren Vorfahren stand. „Ich durfte mir im Rahmen meiner Recherchen in der Anatomie der medizinischen Fakultät sogar echte Schädel ansehen und diese auch anfassen“, berichtet García. Das Ergebnis dieser anatomischen Studien war ein breites Spektrum an Formen, Konturen und Volumen, die als Inspiration und Grundlage für die Formgebung der Sapiens-Brillenfassungen dienten.
Im nächsten Schritt begab sich das Design-Team auf eine intensive kreative Reise, in deren Verlauf unendlich viele Skizzen, Zeichnungen und Entwürfe mit wilden Formen und exzentrischen Linien entstanden.
From Bones to Form: Anatomie als Designprozess
Ein Blick in das Designstudio mit Schädeln auf den Tischen und graphischen Experimenten an den Wänden lässt die intensive Auseinandersetzung der Kreativen mit der Materie erahnen: „Obwohl ich die Idee für das Konzept schon lange im Kopf hatte, war es ein langer und steiniger Weg bis zur Umsetzung. Wir standen vor der großen Herausforderung, unsere anatomische Forschung und die daraus entstandenen Ideen auf ein Fassungsdesign zu übertragen, das nicht zu abgehoben und gleichzeitig das Konzept erkennen lässt.“
Das Ergebnis ist die jüngste Produktlinie „Sapiens“, die die kreative Vision des Designers wohl noch einmal auf ein neues Niveau hebt – inspiriert von der Evolution des Menschen und getragen von einem tiefen Respekt für Handwerk, Materialität und kulturelle Identität. Die Kollektion Drop 1 mit den ersten sieben Modellen feierte auf der SILMO 2024 in Paris Premiere. Bei der ersten Kollektion sei er noch zurückhaltend und vorsichtig gewesen, was die Übertragung der Augenhöhlen auf die Formen der Brillenfassungen angeht. „Aber bei den vier Folgemodellen, der Drop-2-Kollektion, die auf der diesjährigen MIDO im Februar in Mailand vorgestellt wurden, war ich schon mutiger“, sagt der Designer.
Statement gegen den Mainstream
„Sapiens“ ist mehr als ein Brillenlabel – es soll ein Konzept sein, das fernab von flüchtigen Trends und Marktvorgaben die Verbindung zwischen Design und menschlicher Evolution erforscht. García: „Für mich ist Sapiens wie ein Befreiungsschlag, eine Art ‚back to the roots‘, mit dem ich mich über den kommerziellen Druck der Branche hinwegsetze und wieder auf das Wesentliche, also auf die menschliche Komponente konzentriere, aus der meine Leidenschaft fürs Brillendesign ursprünglich entstanden ist.“ Umso mehr freut es den kreativen Kopf, dass die beiden ersten Kollektionen auf den genannten Messen so viel Aufmerksamkeit und Anerkennung beim Fachpublikum erhalten habe.
Die Sapiens-Kreationen zeichnen sich durch skulptur-artige Silhouetten aus in einer von paläolithischer Höhlenmalerei inspirierten Farbpalette aus Erdtönen, die die kühnen Konturen betonen und die Verbindung zwischen Urzeit und Gegenwart verstärken. Zudem trägt jedes Sapiens-Modell Garcías persönliche Handschrift: Auf den Brillenbügeln ist sein Fingerabdruck eingraviert! Alle Fassungen werden aus hochwertigem und nachhaltigem Bioacetat gefertigt, das aus Holz- und Baumwollfasern besteht. Die Produktion erfolgt vollständig in Italien, wobei nicht nur größter Wert auf umweltfreundliche Materialien, sondern auch auf selbige Produktionsverfahren gelegt wird.
García und sein Team haben auch schon eine dritte Kollektion parat, bestehend aus zwei Sonnenbrillen-Modellen, die Bio-Acetat und Titan kombinieren und mit Korrektionsgläsern versehen werden können. Die Vorlage der Augenhöhlen ist hier noch deutlicher zu erkennen als bei den ersten beiden Kollektionen. „Auf der MIDO habe ich interessierte Optiker als Teaser einen Blick auf die neuen Sonnenbrillen-Modelle werfen lassen und die Reaktion war durchweg positiv. Tatsächlich zeigt sich das Fachpublikum überaus empfänglich für innovatives Brillen-Design, das vom Mainstream abweicht, die Kunden überrascht und neue Maßstäbe setzt.“
Barcelona vor Augen, die Welt im Visier
Es gibt gewiss nicht viele, die den katalanischen Freigeist besser verkörpern könnten als Xavier García, der sich mit seinem gleichnamigen Brillenlabel seit 2008 sowohl national als auch international einen Namen gemacht hat. Seit der Gründung formt er in einem Industrieloft im Kreativviertel Poblenou in Barcelona seine Handschrift im internationalen Brillendesign. Seine Geburtsstadt Barcelona blieb immer sein Lebensmittelpunkt. Garcías Design-Philosophie ist tief in der Kultur und Ästhetik Barcelonas verwurzelt. Die Stadt dient ihm als unerschöpfliche Inspirationsquelle, deren Farben, Formen und Dynamik sich in den Kollektionen widerspiegeln. Die Kombination aus urbaner Energie und mediterraner Leichtigkeit prägt den Charakter seiner Brillen, die funktional und ausdrucksstark sind.
Sein Faible für Brillen bekam er vom Vater in die Wiege gelegt, der praktisch sein ganzes Berufsleben in der Optik-Branche tätig war. Nach einer Ausbildung zum Produkt- und Industriedesigner spezialisierte sich der Junior früh auf Brillendesign. Den Anfängen als Designer für internationale und spanische Labels folgte 2008 im damals krisengeschüttelten Spanien der Sprung in die Selbstständigkeit. Mit Erfolg: Seine Brillen sind mittlerweile in mehr als 20 Ländern erhältlich, darunter Kanada, Australien und die USA. Mit „Sapiens“ erschließt Xavier García nun ein neues Segment: ein intelligentes, narrativ starkes Design, das Handwerk, Materialität und Identität miteinander vereint – und beweist, wie viel Zukunft im Blick zurück liegt.
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Barbara Jäger schreibt als Retail-Marketing-Fachfrau für verschiedene Fachmagazine über internationale Themen und Trends. Ihre Trendforschung und Recherche führt sie regelmäßig weltweit in viele internationale Städte.