Wer schnell reich mit seinem Business werden möchte, für den ist eine Spezialisierung zum Low-Vision-Experten wohl eher nichts. Wer jetzt aber direkt umblättern möchte, der sollte wissen: Der Bedarf steigt weiter, so wie er das in den vergangenen Jahren getan hat. „Wir haben keine Nachwuchssorgen bei den Kunden, der Terminkalender ist voll bei mehreren Beratungen und Anpassungen in der Woche. Es gibt auch kein Gerangel zwischen dem Augenarzt und uns. Und die Kunden sind uns treu, man sieht insbesondere die AMD-Patienten automatisch immer wieder“, sagt Sandra Endler, die das nicht missverstanden haben möchte: „Wir möchten in erster Linie helfen!“ Wie, dazu später mehr, wenn wir auch auf Sandra Endler zurückkommen.
Sandra Endler aus Cottbus ist nicht nur Low-Vision-Expertin, sondern auch 2. Vorsitzende des Low-Vision-Kreis (Foto: Sandra Endler)
2005 gründete sich aus einem zuvor recht losen Zusammenschluss einzelner Augenoptiker der Low-Vision-Kreis, der sich heute der führende Verbund mittelständischer Augenoptiker nennt und als Vermittler zwischen den Netzwerken versteht, die sich auf die Beratung und Ausstattung von Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit spezialisiert haben. Ziel der Spezialisten und Spezialistinnen – die mit einem Anteil von 50 Prozent bei den Mitgliedern ausdrücklich erwähnt sein dürfen – ist es auch heute im Jubiläumsjahr noch, ein flächendeckendes Experten-Netzwerk zu etablieren, das eine qualitativ hochwertige Versorgung der Sehschwachen in Deutschland garantiert. Ob das angesichts von 50 Mitgliedern geschafft ist, mag jeder für sich selbst beurteilen. Sicher ist, dass jeder einzelne dieser Kollegen und Kolleginnen nach ihrer klassischen Augenoptikerausbildung einen eigenen Weg in unserer Branche eingeschlagen hat; einen, den ihre treue Kundschaft zu schätzen weiß.
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Lebensqualität und Sehkomfort
Sandra Endler aus Cottbus ist nicht nur eine dieser 50, sie ist deren Zweite Vorsitzende. Und sie macht in ihrem Betrieb nichts anderes, als sich um sehschwache Menschen zu kümmern, die aus einem Einzugsgebiet von mittlerweile rund 100 Kilometern zu ihr nach Cottbus kommen, um mit individuell angepassten Vergrößernden Sehhilfen wieder mehr Sehkomfort und damit auch mehr Lebensqualität zu erlangen. Im Gegensatz zu etlichen anderen Augenoptikern hat Endler von Beginn an auf das Thema Low Vision gesetzt, sodass sie nun auf einen Erfahrungsschaft von über zwei Jahrzehnten blicken kann. Erfahrung ist das A und O in diesem Spezialgebiet der Augenoptik.
Um ihre Erfahrungen zu teilen und sich fortzubilden, treffen sich die Mitstreitenden des Low-Vision-Kreises zweimal im Jahr zu ihren Tagungen. Um sich dem Kreis anzuschließen, braucht es neben der gezielten und regelmäßigen Fortbildung eine fundierte, klassische Augenoptik-Ausbildung und eine ausgezeichnete technische Ausstattung zur Anpassung Vergrößernder Sehhilfen im Betrieb. Das alles dient nicht nur dazu, die Kriterien einer Mitgliedschaft im Low-Vision-Kreis zu erfüllen. Vielmehr ist das die Basis und der Garant für eine qualifizierte individuelle Beratung eines Menschen mit einer Sehbehinderung.
Enger Kontakt mit Industrie
Produktseitig hat sich in den zwei Jahrzehnten, die der Kreis bereits existiert, einiges getan. Mit dem Einzug der elektronischen Lupen sind die Geräte und die Nutzer deutlich mobiler geworden – und die Arbeit mit ihnen macht deutlich mehr Spaß, weil die Ergebnisse besser sind. Endler: „Wir haben einen engen Kontakt zur Industrie und wir unterstützen insbesondere kleinere Unternehmen, die Nischenprodukte und Spezialgläser herstellen. Zum Beispiel sind dank neuer und besserer Materialien Spezialgläser kosmetisch schöner und Kantenfilter kann man gut hinter einer Verspiegelung verstecken. Somit steigt die Akzeptanz bei jüngeren Menschen mit Sehbeeinträchtigungen.“
In ihrem Betrieb kümmert sich Sandra Endler ausschließlich um sehschwache Menschen und das Thema Low Vision. Das hat sich herumgesprochen: Die Kundschaft kommt aus einem Einzugsgebiet von rund 100 Kilometern nach Cottbus. (Foto: Sandra Endler)
„Low Vision rechnet sich nur dann, wenn du dich darauf spezialisierst. Wenn du nur hin und wieder eine elektronische Lupe verkaufst, dann ist das zum Scheitern verurteilt“, erklärt die Cottbusserin, die von den heutigen Möglichkeiten zur Versorgung von sehschwachen Menschen überzeugt ist. Natürlich sind auch heute noch häufig Kantenfilter kombiniert mit einem Blendschutz die erste Wahl bei der Versorgung. Doch die obligatorische ausführliche Anamnese bringt häufig weitere Anwendungsgebiete hervor, sodass beispielsweise fürs Lesen und Fernsehschauen optische Sehhilfen und Lupenbrillen nötig werden, oder eine der elektronischen Sehhilfen, die es heutzutage in Größen bis zu 12 Zoll gibt.
An der Grenze zur Blindheit
In Fällen „an der Grenze zur Blindheit kommen dann Geräte mit Sprachausgabe in Betracht, die können heute zum Beispiel schon Farben und Geldscheine erkennen und die Uhrzeit ansagen“, sagt Endler, die den hohen Wert dieser Geräte für die Lebensqualität der Betroffen tagtäglich in der Praxis nachvollziehen kann. Diese modernen Geräte mit ihren Möglichkeiten zahlen direkt auf das Selbstverständnis des Low-Vision-Kreises ein, der sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen mit eingeschränkter Sehkraft durch besondere Produkte und Dienstleistungen bestmöglich zu unterstützen, um ihnen ein selbstbestimmtes, selbstständiges Leben zu ermöglichen.
Dass die Versorgung seheingeschränkter Menschen dabei über die klassische Augenoptik hinaus gehen soll, lässt sich zunächst an den Werten nicht erkennen, die der Kreis nach außen kommuniziert. Eine „ehrliche, faire und individuelle Beratung, welche die Wünsche und Bedürfnisse des Betroffenen stets in den Mittelpunkt stellt“, dürften sich die meisten auf die Fahne geschrieben haben, ohne dabei an Low Vision gedacht zu haben. Und auch das „aktive Leben in einer kollegialen Gemeinschaft, bei der der offene Austausch von Erfahrungen und Informationen die Basis für die persönliche Weiterentwicklung bildet“, hört sich mindestens auch als Ziel für die komplette Branche gut an. Die Produkte sind das Besondere, und vielleicht auch die regelmäßigen Fort- und Weiterbildungen in den Bereichen Physiologie, Technologie, Beratung und Organisation. Letztlich ist es vermutlich der Betriebsalltag und der Kundenkontakt, der den Unterschied zur klassischen Augenoptik ausmacht.
Low-Vision-Spezialist muss im Umgang mit Krankenkassen geübt bleiben
Im Gegensatz zum Augenoptik-Allrounder, der zunehmend auf die Präqualifizierung verzichtet, muss der Low-Vision-Spezialist im Umgang mit Krankenkassen geübt bleiben. Da muss auch ab und an mal ein Kostenvoranschlag eingereicht werden, obwohl es für diese Position einen Festbetrag gibt. Und sicher sind auch die Begehungen für die Präqualifizierung alle vier Jahre für einige mindestens so nervig wie das Unverständnis über die damit verbundenen Kosten.
Der demographische Wandel sorgt dafür, dass es mehr ältere Menschen mit Sehbehinderung und damit mehr Kundschaft gibt. Bedeutet das aber auch mehr Mitglieder und Mitstreiterinnen im Low-Vision-Kreis? „Zumindest bedeutet das, dass wir den Generationswechsel bei unseren Mitgliedern gut im Griff haben und die Mitgliedszahl stabil ist. Einige unserer Gründungsmitglieder geben ihre Kompetenzen nach und nach an ihre Nachfolger weiter. Aber natürlich stehen unsere Türen weit offen für Interessierte, die den Willen zur Fortbildung mitbringen und sich spezialisieren möchten“ – und die demzufolge noch etwas Zeit haben, ehe sie reich mit ihrem Business werden möchten.
/// IR
Artikel aus der eyebizz 5.2025 (September/Oktober)