Man mag die Geschichte glauben oder nicht, die der durchaus sportliche und noch immer junge Mann mit der markanten Brille erzählt. In seinem weißen Kittel über dem Hemd samt Krawatte sieht Marcos Bulacio nicht gerade wie ein Surfer aus, aber wie sehen Surfer auch schon aus, wenn sie mehr tragen als ein Brett und eine Badehose? Bulacio reitet die Welle der Augenoptik bereits seit vergangenem Jahr, als er mit Regenesis bei der MIDO dabei ist: Damals aber ist das Material, das das Start-up feilbietet, noch nicht marktreif, jetzt schon. Bulacio stellt aus Plastikmüll und Kokosnussschalen ein Rohmaterial für Brillen her, das den Markt mindestens ein bisschen auf den Kopf stellen und den Planeten mindestens „reinigen“ soll.
2022 hielt Marcos Bulacio die erste Brillenfassung aus Carbonit in der Hand. Die eigene Brillenproduktion hat er mittlerweile gestoppt, nun möchte er vielmehr die Industrie beliefern (Foto: Regenesis)
In Argentinien aufgewachsen lernt Bulacio das Meer und die Wellen lieben, die Rayban-Sonnenbrille darf auf dem Weg zum Surfspot nicht fehlen. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in unterschiedlichen Unternehmungen genießt er etliche Jahre später seine Ferien in Indonesien in der balinesischen Brandung. „Dort auf dieser sonst wunderbaren Insel bin ich ständig durch Plastik gepaddelt, da war mir klar, ich muss etwas machen“, erzählt er nun in deutscher Augenoptikermanier des letzten Jahrhunderts gekleidet an seinem Messestand.
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Aus Mission ein Geschäft
Der Kittel steht natürlich weniger für die Expertise in Sachen Augenoptik, vielmehr für die zurückliegende Arbeit im Labor. Bulacio macht aus seiner Mission ein Geschäft, holt wie viele andere auch Plastik aus dem Ozean und aus den tausenden Flüssen Indonesiens und macht daraus zunächst Rucksäcke, Trinkflaschen und andere Outdoor-Artikel. Auf Umwegen wird er auf die Brillenindustrie aufmerksam und wundert sich, dass es dort keine ausgeprägte Materialvielfalt gebe. Und so hält er 2022 nach drei Jahren Plastiksammeln und Laborversuchen seine erste selbst produzierte Brillenfassung in der Hand.
Im Labor gehört der weiße Kittel zur Arbeitskleidung. In der Augenoptik hat er bis auf Ausnahmen ausgedient, auf Messen aber kann er die richtigen Storys transportierten (Foto: Regenesis)
Er sucht sich daraufhin einen Designer und lässt zunächst – natürlich in einer Garage – in Handarbeit fertigen. Es dauert aber nicht lange, ehe eine Produktion in drei Schichten daraus wird, noch dazu in China. Und das wiederum bringt den Südamerikaner auf die Idee, lieber das Material für die Brillenfassungsproduktion herzustellen als die Fassungen selbst.
Regenesis setzt nun auf diese Kunststoffwissenschaft auf, die Bulacio für seine eigene Brillenfassungsproduktion – und die Outdoorartikel – genutzt hat. Der aus dem Ozean und den Flüssen gesammelte Kunststoffmüll wird mit ebenfalls weggeworfenen Kokosnussschalen durch eine besondere Technologie zu einem Material vereint, das laut Werbeversprechen des Start-ups nahezu unzerbrechlich sein soll. Damit nicht genug, die Ecofusion genannte Technologie sorge zudem dafür, dass in der Herstellung keine zusätzliche CO2-Belastung auftrete.
Produktion wieder auf Bali
Die Produktion sitzt nun wieder auf Bali allein, dort wird das Ausgangsmaterial der vermüllten Umwelt entnommen und dort wird das Material für die Brillenfassungsproduktion hergestellt. „Jedes Produkt regeneriert die Erde bei jedem Kauf direkt. Je mehr Produkte unsere Kunden kaufen, desto besser für die Umwelt“, erklärt Bulacio, der in den wenigen Jahren bereits einiges erreicht haben will. Mehr als 120 Tonnen Müll wurden aus zwölf Ländern mit mehr als 2.900 Freiwilligen entfernt, zudem wurden 17 Flussmüllbarrieren aufgestellt und 4.200 Mangrovenbäume gepflanzt, heißt es von Seiten des Unternehmens.
Brillen-Material aus Plastik-Müll – gemeinsam mit der Biokohle aus Kokosnussschalen (Abb.) und verstärkt durch recycelte und KI-konstruierte Kohlefasern wird daraus Carbonit (Bild: Regenesis)
„Wo einige Müll sehen, sehen wir Schätze“, meint der CEO und Gründer, der es sich mit seinem Team zur Aufgabe gemacht habe, bis 2030 einhundert der verunreinigsten Flüsse der Welt von Plastikmüll zu befreien. Das Gute: Das daraus gemachte Material könne zu einhundert Prozent in einem geschlossenen Kreislauf recycelt werden. Regenesis entwickelt und vermarktet das Material, um es jedem Brillenproduzenten zu ermöglichen, auf eine regenerative Produktion umzustellen.
Dieses Jahr bei der MIDO verkündet Bulacio diese Idee und zeigt Prototypen, vor einigen Wochen bei der SILMO ist er dagegen aktiv auf „Kundenfang“, denn die Produktion stehe bereit und es gebe noch viel Plastik, das aus dem Wasser gefischt werden müsse. Gemeinsam mit der Biokohle aus Kokosnussschalen und verstärkt durch recycelte und KI-konstruierte Kohlefasern sei das Carbonit genannte Produkt 200-mal widerstandsfähiger als Stahl. „Eine solche Haltbarkeit, Flexibilität und diesen Komfort hat die Welt der Brillen noch nie gesehen. Mit Carbonit bringen wir nicht einfach ein neues Material auf den Markt, sondern schreiben die Regeln dafür neu, was Brillen sein können“, sagt der Gründer.
Eine Brillenfassung, ein Kilogramm Plastik-Müll
Jede Brillenfassung entferne etwa ein Kilogramm Plastikmüll. Ob Sport-, Sonnen- oder Korrektionsfassung, Carbonit kenne kaum Grenzen bei der Farbgestaltung und soll zukünftig auch für Zubehör, Kleidung und Unterhaltungselektronik genutzt werden können. Zunächst aber freue er sich, so Bulacio, dass seine Idee, seine Firma, sein Material und natürlich auch die dazugehörige Entstehungsgeschichte bei der SILMO gut angekommen seien. Derzeit gebe es mindestens sieben Unternehmen, die bald auch Fassungen aus Carbonit herstellen möchten. Es stehe viel Arbeit auf Bali bevor, damit kommendes Jahr die interessierte Industrie auch entsprechend beliefert werden könne.
Wer weiß, möglicherweise werden eines Tages die Kinder von Marcos Bulacio ohne Plastikkollisionen durch die Brandung Balis schwimmen können? Und vielleicht setzt sich Carbonit ja tatsächlich auch in der Brillenfassungsproduktion durch? Spätestens dann braucht es für den Gründer und CEO auch keinen weißen Kittel mehr, um die Story für die Messebesucher und die potenziellen Großkunden rund zu machen.
/// IR
Artikel aus der eyebizz 6.2025 (November/Dezember)